Letzter Weg
zugeworfen hatte.
Grace wartete noch einen Moment, riss sich zusammen und drehte sich dann zu Terri um.
»Erzähl«, sagte sie.
»Wie viel wisst ihr?«
»Sehr wenig.« Grace schaute der jüngeren Frau unablässig in die Augen. »Wir wissen, dass Saul angegriffen wurde …«
»Jemand hat ihn zusammengeschlagen.« Terris Mund bewegte sich einen Augenblick stumm; dann riss sie sich wieder zusammen. »Man hat ihm die Schulter gebrochen und …« Sie atmete zitternd ein. »Einer der Ärzte sagt, jemand habe ihm die Gurgel zertreten.«
Cathy schnappte entsetzt nach Luft.
Terri schaute sie mitfühlend an und wandte sich dann wieder Grace zu.
»Sein Kehlkopf ist zerquetscht.« Ihre Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern. »Sie haben auf ihn eingetreten.«
Cathy stieß ein schrilles, schreckliches Geräusch aus. Grace’ Herz pochte so schnell, dass sie fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Kurz schaute sie von Terri zu ihrer Tochter, um sich zu vergewissern, dass sie nicht zusammenbrach. Dann, noch während sie um Selbstbeherrschung rang, wandte sie den Blick wieder der anderen jungen Frau zu und suchte in deren blutunterlaufenen, verzweifelten Augen. Das Leid schien echt zu sein; es sah echt aus … und plötzlich übernahm Grace’ Instinkt das Kommando, sodass sie die Arme ausstreckte, und Terri fiel förmlich in sie hinein und ließ sich einen Moment lang halten, bevor sie sich wieder löste. Sie zitterte heftig.
»Du solltest dich hinsetzen.« Grace nickte zu einer Bank.
»Ich kann nicht.«
»Das solltest du aber«, mischte Cathy sich ein. »Du siehst furchtbar aus.«
»Ich muss weitermachen .«
Grace stellte die gefürchtete Frage. »Was ist mit seinem Kopf?«
Terri zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht.« Sie schaute wieder von Cathy zu Grace. »Ihr zwei solltet euch auch setzen, besonders du, Grace.«
Was Grace vor allem wollte, war, mit Sam und David auf der Intensivstation zu sitzen und bei dem armen Saul zu sein; sie wusste aber auch, dass sie noch länger hier bei Terri bleiben und sie beobachten musste, um sicher zu sein, dass sie war, was sie zu sein schien: Sauls traumatisierte Freundin.
»Was ist mit dir, Terri?«, fragte sie leise. »Haben sie dich nicht verletzt?«
Abermals schüttelte Terri den Kopf. »Ich war nicht da.«
»Wie kommt’s?« Cathy war verwirrt. »Wo ist das denn passiert?«
Terri ging zur Bank und setzte sich. »Saul ist am Strand spazieren gegangen.« Ihre Stimme war wieder nur ein Flüstern. »Ich war nicht bei ihm.«
»Warum nicht?« Grace wurde plötzlich kalt.
»Wir haben uns wieder gestritten«, antwortete Terri.
»Ein Mann hat ihn am Strand nahe dem Pier gefunden«, berichtete David Sam, nachdem er mit jemandem von der Intensivstation geredet hatte. »Die Sanitäter sind Gott sei Dank schnell gekommen, haben einen Luftröhrenschnitt gemacht und ihm dadurch das Leben gerettet. Bei der CT war ein Blutgerinnsel zu sehen. Sie haben ihn in den Operationssaal gebracht.«
»Aber das alles …« Sam starrte auf Saul hinab, auf die Verbände, die eingegipste Schulter, den rechten Arm und die schrecklichen Blutergüsse, auf die Schläuche und Drähte, die Katheder und Elektroden auf seiner Brust, die Ventilatoren und Monitore und die Blutbeutel: die gesegneten Schrecken der modernen Medizin. »Er sieht aus, als würde er künstlich am Leben erhalten.«
»Das alles dient nur dazu, ihm durch diese schwierige Phase zu helfen«, versicherte ihm David. »Im Augenblick sind die Monitore seine besten Freunde. Wenn die Geräte ein Problem melden, kann das Team sofort reagieren.« Er wusste nicht, wie er es fertig brachte, so ruhig zu reden, wusste nicht, warum er überhaupt noch stand. »Sie haben auch schon erste Eingriffe an seinem Hals durchgeführt. Knorpelsplitter wurden entfernt, und man hat winzige Platten und Drähte zur Stabilisierung eingesetzt.«
»Und jetzt?« Sam zog sich die Kehle zusammen.
Die emotionale Qual, die ihn durchströmte, wenn er seinen Bruder ansah, war ihm nur allzu vertraut. Er hatte so etwas schon drei Mal erlebt: zuerst, als Sampson gestorben war; dann wieder, als sein Dad auf der Intensivstation im Miami Central gelegen hatte, nachdem ihm vor sechs Jahren jemand in den Rücken gestochen hatte, und zum dritten Mal, als man ihm Judys Todesurteil verkündet hatte, die Krebsdiagnose.
Das ist nicht das Gleiche, sagte er sich und versuchte vergeblich, die Erinnerung zu verdrängen.
Er versuchte es, scheiterte aber daran, die Größte
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