Leuchtende Sonne weites Land - Roman
fürchtete, Jacqueline werde ihm eine Szene machen, und er wollte nicht, dass andere Passagiere etwas davon mitbekamen.
Jacqueline machte sich los. »Ich will aber nicht nach unten, Henry! Warum setzen wir uns nicht in einen Salon, damit ich wenigstens das Festland sehen kann?«
Normalerweise war er Wachs in ihren Händen, aber dieses Mal ließ er sich nicht erweichen. »Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt. Ich muss darauf bestehen, dass wir unsere Kabine aufsuchen.«
»Na schön, wie du willst.« Jacqueline, die sich keinen Reim auf sein merkwürdiges Verhalten machen konnte, gingen die verrücktesten Gedanken durch den Kopf, als sie ihrem Mann durch einenKorridor zu einem der Niedergänge folgte, die zu den unteren Kabinendecks führten. Hätte er nicht so offensichtlich vor Gesundheit gestrotzt, hätte sie geglaubt, er werde ihr mitteilen, dass er schwer erkrankt sei. Wahrscheinlich, so vermutete sie, ging es um die Teilhaberschaft mit seinem Bruder. Sie hatte von Anfang an den Eindruck gehabt, dass er nicht wirklich begeistert war von der Vorstellung, Möbel zu verkaufen. Aber musste er deshalb gleich so theatralisch werden?
Henry schloss die Kabinentür und begann, nervös auf und ab zu gehen. Jacqueline setzte sich auf das Bett und strich mechanisch die Falten in der Tagesdecke glatt. Henry bemerkte es. Ihr Perfektionismus ging ihm auf die Nerven.
»Lass das doch, Jacqueline«, fauchte er.
Erschrocken blickte sie auf.
Er fuhr sich übers Haar. Jetzt, wo es so weit war, wusste er nicht, wie er vorgehen sollte. Einfach mit der Wahrheit herausplatzen oder es ihr schonend beibringen? Aber wie er es auch anfangen würde, das Ergebnis wäre das gleiche – Jacqueline wäre tief verletzt.
»Was ist denn los mit dir, Henry? Warum bist du so gereizt? Man könnte ja meinen, du hättest etwas zu verbergen«, stichelte sie und fügte scherzend hinzu: »Hast du eine heimliche Affäre mit einer Reisebekanntschaft?«
Henry blieb wie angewurzelt stehen. »Wie … wie kommst du denn darauf?«, stammelte er schuldbewusst.
Jacqueline musterte seinen entgeisterten Gesichtsausdruck. »Das war nur ein Witz, Henry. Du meine Güte, sei doch ein bisschen lockerer!« Sie hatte sich immer glücklich geschätzt, weil sie sich keinen treueren Mann wünschen konnte. Wenn er doch nur ein bisschen mehr Humor hätte!
Henry bekam plötzlich weiche Knie. Er ließ sich neben Jacqueline aufs Bett fallen und stützte seinen Kopf in beide Hände. Seltenwar ihm etwas so schwer gefallen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Ist es wegen des Geschäfts?«, fragte Jacqueline und sah ihren Mann forschend an. »Hast du es dir anders überlegt? Willst du dich doch nicht mit deinem Bruder zusammentun? Ich könnte es verstehen, weißt du, und Philip sicher auch.«
Henry schüttelte den Kopf. »Nein, darum geht es nicht.« Er sah in die vertrauensvollen braunen Augen seiner Frau und versuchte, sich nicht wie ein erbärmlicher Schuft vorzukommen. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, und deshalb sage ich es einfach geradeheraus. Ich habe … jemanden kennen gelernt …«
Er wandte sich ab und knetete nervös seine Hände. Henry kannte Jacquelines Wutausbrüche. In ihrer Ehe hatte er den einen oder anderen erlebt, ihr Jähzorn konnte ziemlich Furcht einflößend sein.
»Du hast … jemanden kennen gelernt«, wiederholte sie verwirrt. Sie glaubte, sich verhört zu haben. »Das ist nicht komisch, Henry.«
Er dachte an die Zukunft, die er sich so sehr wünschte, und nahm all seinen Mut zusammen. »Ich meine es ernst, Jacqueline. Ich habe eine andere Frau kennen gelernt, und ich möchte ein neues Leben mit ihr beginnen.«
Es war eine Wohltat gewesen, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht nach Perfektion strebte, der keinen Gedanken an etwas so Unwichtiges wie zerschrammte Absätze verschwendete. Doch das behielt er für sich.
»Henry, ich verstehe kein Wort! Wovon redest du da?« Jacqueline starrte ihn bestürzt an. Falls das ein Witz sein sollte, konnte sie überhaupt nicht darüber lachen. Aber es schien ihm vollkommen ernst zu sein. »Du hast mich um die halbe Welt geschleppt, damit wir beide hier ein neues Leben beginnen können, du und ich!«
»Ich will dir nicht wehtun, Jacqueline, aber du weißt, dass ichmir immer eine Familie gewünscht habe.« Es war schäbig, ihr ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, aber sie ließ ihm keine andere Wahl.
Jacqueline war wie vor den Kopf geschlagen.
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