Leuchtende Sonne weites Land - Roman
Kinder waren seit Jahren kein Thema mehr gewesen. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, und irgendwann hatten sie sich damit abgefunden. Einmal hatten sie sogar eine Adoption in Erwägung gezogen, den Gedanken aber wieder verworfen.
Eine heftige Übelkeit erfasste sie, aber dieses Mal lag es nicht an den Schlingerbewegungen des Schiffs. »Ich weiß nicht, was du mir eigentlich sagen willst, Henry, aber was es auch sein mag, ich kann im Moment nicht damit umgehen.«
Panik stieg in ihr auf. Ihr Herz hämmerte. Das konnte nur ein schlechter Traum sein! In ihrer gegenwärtigen Verfassung war sie nicht in der Lage, eine seelische Krise zu meistern, und sie konnte nicht glauben, dass Henry sie ausgerechnet jetzt damit konfrontierte. Genauso wenig konnte sie glauben, dass er sie betrogen hatte. Sie hätte ihre Hand für ihn ins Feuer gelegt.
»Es tut mir leid, Jacqueline, aber wir können diese Unterhaltung nicht aufschieben. Ich habe mich auf dieser Reise in eine andere Frau verliebt – ich möchte sie heiraten und eine Familie mit ihr gründen.«
Plötzlich ertrug Henry die Nähe zu seiner Frau nicht mehr. Er stand auf und stellte sich mit dem Rücken zur Tür vor sie.
Jacqueline sah ihren Mann fassungslos an. Seine Worte schienen keinen Sinn zu ergeben. Es war, als hätte er in einer fremden Sprache zu ihr gesprochen. »Wie kannst du dich in dieser kurzen Zeit so sehr in eine andere verlieben, dass du sie heiraten und Kinder mit ihr haben willst? Das ist doch nicht möglich! Zumal du bereits eine Frau hast!«
»Ich weiß, dass das alles sehr schnell gegangen ist, aber unsere Gefühle füreinander sind nun einmal da, wir können sie nicht ignorieren.«
Jacqueline schüttelte nur den Kopf. Henry hatte offensichtlich den Verstand verloren, eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
»Du kannst ja nichts dafür, dass du keine Kinder bekommen kannst«, fuhr er fort. »Du sollst wissen, dass ich dir deswegen nicht böse bin.«
Jacqueline starrte ihn offenen Mundes an. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass das Thema Kinder so wichtig für ihn war. Er hatte ihr nie diesen Eindruck vermittelt. »Wie großzügig von dir«, bemerkte sie bissig. »Ich dachte, wir seien uns einig gewesen, dass in unserem Leben kein Platz für Kinder ist.«
Henry senkte seinen Blick. » Du warst dir einig, Jacqueline.« Vielleicht hätte er darauf gedrängt, ein Kind zu adoptieren, wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, dass sie es im Grunde nicht wollte, weil es ihren Lebensstil zu sehr beeinträchtigen würde. »Ich habe mir immer Kinder gewünscht, und allmählich läuft mir die Zeit davon. Ich bin kein junger Mann mehr.«
Jacqueline musterte Henry wortlos. Das war nicht ihr Ehemann, der da vor ihr stand, sondern ein grausamer, herzloser Fremder. Jetzt kam es ihr auf groteske Weise absurd vor, dass sie ihm gerade eben noch gesagt hatte, wie jung und attraktiv er aussah. Zumindest war ihr jetzt der Grund dafür klar.
»Ist das nicht nur eine Ausrede, weil du scharf auf so ein junges Ding bist?« Es wollte ihr nicht in den Kopf, dass er sie nicht mehr liebte und sie betrogen hatte, während es ihr so schlecht gegangen war. »Seien wir doch mal ehrlich: Du bist viel zu egoistisch, um ein guter Vater zu sein.« Sie hatte ihn in all den Jahren verwöhnt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen und so dafür gesorgt, dass er bequem geworden war.
Henry zuckte zusammen. Er hatte natürlich damit gerechnet, dass sie ihn beschimpfen würde, aber für einen Egoisten hielt er sich nicht. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück und prallte gegen die Kabinentür.
»Wenn wir wirklich ehrlich sein wollen, Jacqueline, dann müssen wir zugeben, dass wir schon eine ganze Weile nicht mehr glücklich miteinander sind«, konterte er.
» Ich war glücklich, Henry, aber anscheinend hast du vergessen, mir zu sagen, dass du es nicht warst.«
»Jacqueline, ich … ich möchte die Scheidung«, sagte er ruhig.
Eine beklemmende Stille trat ein. Henry beobachtete seine Frau. Sie war sichtlich schockiert. Das kam schließlich völlig unerwartet, für ihn genauso wie für sie. Dennoch war er erleichtert, dass der gefürchtete Wutausbruch ausblieb.
»Die Scheidung«, murmelte sie nach einer Weile ganz benommen. Sie hätte nie gedacht, dass sich dieses Wort einmal auf sie und Henry beziehen könnte. »Du willst einfach so die Scheidung.« In diesem Moment war ihr die Tragweite dessen, was das Wort bedeutete, gar nicht bewusst. Sie wusste nur, dass das neue
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