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Leuchtendes Land

Titel: Leuchtendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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interessieren sich nicht mehr für mich. Haben am Wochenende bestimmt mit anderen Damen gefeiert. Ich werde kein Wort mehr mit ihnen wechseln.«
    Sie bog in den Weg ein, der den Hügel hinunter zur Promenade führte, auf der sich weitere Spaziergänger tummelten. Es gab viel zu sehen – Fähren, kleine Yachten, spielende Kinder, Fischer, die in der Sonne dösten, während schwarze Schwäne an ihnen vorüberzogen – und doch konnte Thora sich einer gewissen Nervosität nicht erwehren. Sie zwang sich weiterzugehen und musterte dabei die anderen Damen, bis ihr auffiel, dass sie die einzige Frau ohne Begleitung war.
    Gehetzt schaute sie sich um in der Hoffnung, wenigstens einen Bekannten zu treffen. Doch sie hörte lediglich das fröhliche Lachen der anderen, bezog es auf sich und fühlte sich verhöhnt. Thora beschleunigte ihren Schritt, um dem Lachen zu entfliehen, eilte den scheinbar endlosen Weg entlang, bis sie es nicht mehr aushielt und seitlich ins Gebüsch und hangaufwärts stolperte.
    Ihr Rock verfing sich in den Büschen, die Strümpfe zerrissen, doch sie konnte nicht umkehren. Es drängte sie zurück in die gleichgültigen Straßen und ins Hotel, aber das Stadtzentrum lag bereits weit hinter ihr. Sie überquerte eine belebte Straße und hielt dabei ihren Hut fest, damit ihn der Wind nicht davonwehte. Inzwischen war sie in ein Wohngebiet gelangt und hastete ziellos durch die Straßen. Sie hatte sich hoffnungslos verirrt.
    Als sie an die Tür eines großen Hauses klopfte und fragte, ob ein Lord Soundso dort wohne, starrte die Hausherrin die seltsame Person, die vor ihr stand, nur an.
    »Nein! Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie hier?«
    »Ist es wirklich nicht sein Haus?«, fragte Thora flehentlich.
    Die Frau schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Plötzlich war sich Thora sicher, dass ihre Mutter hinter dieser Tür stand, sie aussperrte, sich weigerte, ihr zuzuhören, sie in eine Welt mit lauter Fremden stieß.
    Später an diesem Nachmittag ritt ein Polizist am Rathaus vorbei und entdeckte die Frau, die zusammengekauert auf den Stufen saß.
    »Alles in Ordnung, Miss?«
    Sie war überaus hübsch, wirkte aber verstört. »Mir ist der Absatz abgebrochen.«
    Er stieg ab. »Lassen Sie mich mal sehen.«
    Schüchtern zog Thora ihren Schuh aus und reichte ihn zusammen mit dem Absatz dem Polizisten.
    Er trieb die Nägel wieder in die Sohle. »Er ist noch lose, Miss, aber fürs Erste hält er. Wo wohnen Sie?«
    Sie machte einige vage Handbewegungen und schaute sich verwirrt um, als wolle sie vor ihm fliehen, doch er blieb hartnäckig stehen, weil er spürte, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Sie war einfach zu gut gekleidet, um sich allein in der Stadt herumzutreiben. »Ich bringe Sie nach Hause«, bot er an. »Wohnen Sie weit von hier?«
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Wo ist mein Hut?«
    Weit und breit war kein Hut zu sehen. »Muss weggeflogen sein. Ist ziemlich windig heute, was?«
    »Ja.«
    Er half ihr aufzustehen. »Ich habe keine Eile, Miss. Sonntags ist es immer ruhig. Dandy und ich bringen Sie zurück. Mögen Sie Pferde?«
    »Ja, ich reite gern.«
    »Das ist gut. Wo wohnen Sie doch gleich?«
    Die vertraute Wärme des Tieres, das ihre Hand ableckte, wirkte tröstlich, und Thora spürte, wie sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete.
    »Im
Palace Hotel
.« Sie zwinkerte und schaute den Polizisten an. Sie war dankbar, dass er so entschlossen auftrat. »Ich hatte mich verlaufen«, fügte sie leise hinzu und fühlte sich sofort erleichtert. Zum ersten Mal hatte sie ihre Verwirrtheit eingestanden. Dennoch konnte sie nicht zugeben, dass in ihrem Gedächtnis eine Lücke von mehreren Stunden klaffte. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war ihre überstürzte Flucht von der Promenade am Fluss.
    Vor dem Hotelportal dankte sie dem Polizisten für seine Hilfsbereitschaft und humpelte auf ihr Zimmer, wo Lydias Nanny sie bereits erwartete.
    »Oh, Mrs. Price! Da sind Sie ja endlich! Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Du lieber Himmel, Sie sind ja ganz erschöpft. Was ist denn bloß passiert? Ich bringe Ihnen erst mal eine Tasse Tee.«
    Für Thora war diese rührende Fürsorge einfach zu viel, und sie brach in Tränen aus.
    An diesem Tag änderte sich ihr Leben. Die Nanny hatte es nun noch schwerer, weil Mrs. Price sich förmlich an sie klammerte. Es gab keine großen Essen mehr, da Mrs. Price ohne Netta nicht mehr ausging. Sie machten stattdessen lange Spaziergänge mit Lydia im Kinderwagen. Oft nahmen

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