Leuchtendes Land
sagen, dass deine liebe Mutter in den Himmel gegangen ist. Gott hat ihr Leiden gesehen und sie in seiner Güte zu sich gerufen, damit sie in Frieden ruhen kann.«
Clem starrte ihn an. Er glaubte kein Wort und war wütend, weil sein Vater ihm solch eine Lüge erzählte.
Über ihm war Alice in lautes Schluchzen ausgebrochen. Clem wünschte, sie würde damit aufhören. Sie mochte ein großes Mädchen sein, aber manchmal heulte sie wie ein Kleinkind. Sein Vater redete, erklärte, entschuldigte sich noch immer, und Clem wagte nicht, ihm zu widersprechen.
Noah war ein Riese mit einer lauten Stimme, den man besser nicht verärgerte. Daher schwieg der Junge und nickte teilnahmslos, so dass er aussah wie Alices Puppe mit dem losen Kopf. Schließlich suchte Noah Zuflucht im Gebet und kniete mit seinen beiden Kindern an der Seite über die Koje gebeugt nieder.
Frauen näherten sich der Tür, flüsterten, besprachen sich mit Noah, drängten sich in die Kabine, tätschelten Clems Kopf und nannten ihn einen tapferen Jungen. Sie sagten auch, Alice sei ein tapferes Mädchen – was nicht stimmte, da sie die ganze Zeit heulte –, und Clem traute keiner von ihnen über den Weg.
Als er endlich den erstickenden Umarmungen, Streicheleien und schönen Reden entwischen konnte, rannte er geradewegs in Richtung Deck und prallte mit dem Kapitän zusammen. Etwas Besseres hätte ihm an diesem Morgen gar nicht passieren können. Der Kapitän nahm ihn mit ins Ruderhaus, zu dem der Zutritt den Passagieren eigentlich verboten war, und ließ ihn das Schiff steuern. Er redete jedenfalls nicht die ganze Zeit von Himmel und Tod, weil er Wichtigeres zu tun hatte, und Clem wusste dies zu schätzen. Er stand auf einem Hocker und steuerte das Schiff behutsam durch die steilen Wellen, um zu beweisen, wie ernsthaft und pflichtbewusst er war. Der Kapitän stand neben ihm und rauchte mit geduldigem Respekt seine Pfeife.
Am nächsten Tag erschien Alice in einem glänzenden schwarzen Kleid. Clem starrte sie an. Das Kleid war hässlich, hatte einen schiefen Kragen, der wie ein Lappen herunterhing, und einen unordentlichen Saum, der auf einer Seite über den Boden schleifte.
»Woher hast du das komische Kleid?«, fragte er.
»Einige der Frauen an Bord haben es für mich gemacht.«
»Zieh es aus, du siehst aus wie eine alte Zwergenfrau.« Zu seinem Erstaunen brach Alice in Tränen aus.
»Du siehst nicht aus wie eine alte Zwergenfrau, ehrlich nicht«, lenkte er ein, doch sie ließ sich nicht trösten.
»Du hast recht. Das Kleid ist scheußlich, aber ich muss es tragen, weil wir in Trauer sind. Von jetzt an werde ich immer hässlich sein.«
Er zupfte an dem Kleid. »Du bist nicht hässlich, Alice. Ich habe die Frauen sagen hören, du wärst ein hübsches Mädchen.«
»Tatsächlich?«, Sie schaute ihn freudig überrascht an.
»Ja, ganz ehrlich.« Das hatten sie auch gesagt, dann aber hinzugefügt: »Bis auf …« Clem war jedoch klar, dass er dies besser nicht wiederholen sollte, wenn er seine dumme Bemerkung von vorhin wiedergutmachen wollte.
Clem wünschte, seine Mutter wäre nicht in den Himmel gegangen. Bei ihr hätte Alice dieses Kleid nicht tragen müssen. Doch sie war tatsächlich dorthin gegangen. Zunächst hatte er im Krankenrevier nachgeschaut und anschließend das ganze Schiff nach ihr abgesucht. Überall hatte er nachgesehen. Da er klein war, konnte er ungestört in den Kabinen und tief im Schiffsinneren herumspionieren. Er hoffte, dass es ihr im Himmel gutginge, vermisste sie jedoch sehr, da er ihr Liebling gewesen war.
Jedenfalls war es schade, dass sie Alice nicht mitgenommen hatte. Er und Pa kamen schon zurecht, aber Alice litt sehr. Sie weinte viel, möglicherweise, weil die Familie aus dem Gleichgewicht geraten war und nun aus zwei Männern – ihn mitgerechnet – und nur einem Mädchen bestand. Niemand konnte Alice die Haare flechten, Kleider für sie anfertigen oder mit ihr zusammen nähen. Die ganzen Frauensachen musste sie nun allein erledigen. Arme Alice.
»Keine Sorge, Alice«, sagte er beherzt, »ich werde mich um dich kümmern. Wenn ich groß bin, passe ich immer auf dich auf.«
»Welche Frau hat gesagt, ich sei hübsch?«
»Mrs. Cathcart, und die anderen haben ihr zugestimmt. Es ist wahr, ehrlich.«
Trotz seiner mutigen Worte war er es, der sich an Alice klammerte, als das Schiff in Fremantle vor Anker ging. Dies war der erste australische Hafen, der angelaufen wurde, und Clem stand inmitten des verwirrenden
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