Leuchtendes Land
er, »es scheint ein Missverständnis zu geben. Möchten Sie mit mir und meiner Familie zu Abend essen?«
»Vielen Dank«, erwiderte sie, kehrte dem Geschäftsführer den Rücken und ging hinter dem Herrn durch den Saal. Alle Blicke waren auf sie gerichtet.
Eine schwarzgekleidete Dame begrüßte sie freundlich, und ihre beiden halbwüchsigen Söhne sprangen auf, um einen fünften Stuhl zu holen. Mrs. Price hingegen starrte sie nur an.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie an meinem Tisch? Dies hier ist mein Tisch. Ich kenne Sie nicht.«
Zum Entsetzen ihrer Helfer winkte sie den Oberkellner herbei.
Er segelte zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch auf sie zu. »Worum geht es, Madam?«
»Dies ist mein Tisch«, sagte Thora herrisch. »Schicken Sie diese Leute weg. Wenn Lord Kengally davon erfährt, wird er sich furchtbar aufregen.«
»Ich glaube, Sie irren sich«, flüsterte der Kellner. »Vielleicht hatten Sie an einem anderen Abend reserviert.«
»Setzen Sie sich, meine Liebe«, warf die Dame ein. »Sie erregen Aufsehen.«
»Ich errege kein Aufsehen. Ich möchte einfach nur an meinem Tisch sitzen. Ist das zu viel verlangt?«
Der Oberkellner klang nun entschlossener: »Es tut mir leid, Mrs. Price, aber ich muss Sie bitten zu gehen.«
Nach einigem Tumult führte die hilfsbereite Dame Thora aus dem Speisesaal.
»Sie ist nicht betrunken«, sagte sie mit fester Stimme zu Miss Devane, bei der sie Thora abgeliefert hatte. »Ich habe schon viele Betrunkene gesehen. Dieses Mädchen ist einfach verwirrt. Benachrichtigen Sie am besten ihren Ehemann.«
Miss Devane besprach die Angelegenheit mit dem Geschäftsführer des Hotels. Sie war ebenfalls der Ansicht, Thora müsse das Hotel verlassen, doch so einfach war das nicht. Für die führenden Hotels von Perth waren die Viehzüchter eine wichtige Einnahmequelle. Gewöhnlich verbrachten sie die Sommermonate mit ihren Familien in Perth, um der Hitze im Landesinneren zu entfliehen. Es waren anständige und zuverlässige Gäste. Sie kamen von den großen Rinderfarmen im Norden und den Schaffarmen im Süden und stiegen seit Generationen in ihren Stammhotels ab. Die Hotelangestellten schätzten ihren Humor und ihre Anspruchslosigkeit ebenso wie die soliden Schecks und Schuldscheine, die sie ihnen daließen – ganz im Gegensatz zur Zahlungsmoral der neureichen Goldsucher. Der Geschäftsführer des
Palace
war mehr als einmal von Herren übers Ohr gehauen worden, die eine noble Fassade zur Schau gestellt hatten. Mit den Viehzüchtern und ihren Frauen wollte er es sich allerdings auf keinen Fall verderben.
»Was würden Sie vorschlagen, Miss Devane?«
»Eines der Cottages wäre passend.« Auf dem Grundstück hinter dem Hauptgebäude, das ebenfalls zum Hotel gehörte, standen im Moment zwei Cottages, die im Sommer an Besucher vom Land und deren Familien vermietet wurden.
»Sie sind aber geschlossen.«
»Das lässt sich schnell ändern. Ich lasse eines von ihnen reinigen und lüften.«
»Vielleicht würde sie nur ungern dorthin umziehen.«
»Dann muss ich sie eben davon überzeugen. Sie kann nicht im Hotel bleiben und weiterhin solche Szenen veranstalten. Außerdem reagieren die Angestellten auf ihre Ansprüche zunehmend gereizt. Sie scheint zu glauben, das Personal hätte nichts Besseres zu tun, als ihr nach ihrer Lust und Laune Mahlzeiten hinaufzubringen. Manchmal denke ich, wir sollten ihr diesen Extraservice in Rechnung stellen.«
»Unmöglich! Das wäre ein Skandal.«
»Dann würde Mrs. Price vielleicht öfter den Speisesaal beehren, anstatt die Serviererinnen von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten.«
»Mrs. Price noch öfter in meinem Speisesaal? Das möge Gott verhüten! Ich hoffe, Sie werden ihr irgendwie beibringen, dass die Cottages keinen Zimmerservice haben. Die Sommergäste bringen in der Regel ihre eigenen Köchinnen mit.«
Miss Devane nickte. »Ihre Nanny ist recht zuverlässig und kann diese Aufgabe übernehmen, falls Mrs. Price keine Köchin einstellen will. Ich glaube nicht, dass sie sich selbst die Hände schmutzig machen wird.«
Der Geschäftsführer wirkte wenig beeindruckt. »Warum sollen wir uns überhaupt die Mühe machen, das Cottage herzurichten? Sagen wir ihr doch einfach, wir seien ausgebucht und sie müsse in ein anderes Hotel umziehen.«
»Das geht nicht. Sie besteht darauf, im
Palace
zu wohnen. Aus Statusgründen, wissen Sie.«
»Wo steckt denn der verfluchte Ehemann?«
»Vermutlich noch immer draußen auf der Schaffarm. Die
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