Leuchtendes Land
gehört hätten, wenn Thora nicht diesen Skandal verursacht hätte.
Verbittert spielte sie mit dem Gedanken, den Brief zu verbrennen, doch er würde nicht der einzige bleiben. Sie verfluchte Thora und Lil in einem Atemzug. Durfte Lil das tun? Durfte sie Thora das geliebte Kind wegnehmen? Tief im Herzen wusste Alice, dass es möglich war. Als George zum Mittagessen kam, warf sie ihm den Brief hin. »Lies das. Lydia kennt sie nicht einmal. Wie kann sie so grausam sein?«
»Ach ja«, sagte George, während er das Schreiben sorgfältig studierte. »Mrs. Cornish.«
»Das klingt, als hättest du so etwas erwartet.«
»Es lag auf der Hand.«
»Nun, was können wir unternehmen?«
»Clem den Brief schicken. Er muss sich darum kümmern.«
Clem traf sich im Teesalon des Rathauses mit Mrs. Cornish alias Miss Warburton.
»Ich dachte mir doch, dass ich Sie kenne.«
Lil seufzte. Was für ein charmanter Mann. »Geht es Ihnen wieder gut?«
»Noch ein bisschen kurzatmig, ansonsten bin ich gesund. Und wie geht es Ihnen?«
»Ich hatte schreckliche Angst. Ich weiß noch immer nicht genau, weshalb Mrs. Price auf mich gezielt hat«, log sie, um ihn zu schonen.
»Es ist eine lange Geschichte, die eigentlich nichts mit Ihnen zu tun hat. Wo ist Ted abgeblieben?«
»Er hat mich kurz nach unserer Ankunft in Perth verlassen.«
»Sie scheinen Ihr Leben gut im Griff zu haben.« Clem bestellte Tee und Hörnchen und kam direkt auf den Punkt. »Sie wollen Lydia zurückhaben?«
»Ja. So leid es mir tut.«
»Wir lieben sie sehr.«
»Das bezweifle ich nicht, aber es war alles ein furchtbarer Fehler, Mr. Price. Ich gebe niemand anders als mir die Schuld und bedauere es sehr, aber ich kann ohne sie nicht mehr leben. Wie ich bereits geschrieben habe, lebe ich in gesicherten Verhältnissen, und meine Arbeitgeberin, Miss Warburton …«
»Die echte Miss Warburton?«
»Ja. Sie hat ein herrliches Haus und ist damit einverstanden, dass Carolines Zwillingsschwester …«
»Sie heißt also Caroline?«
»Ja. Wir sind beide der Meinung, dass die Mädchen gemeinsam aufwachsen sollen.«
»Und Sie wissen auch, dass ich keinen Rechtsanspruch habe?«
»Ja.«
Die Kellnerin brachte heiße Hörnchen mit Erdbeermarmelade und geschlagener Sahne. Clem fiel hungrig darüber her, Lil hingegen hatte keinen Appetit. Sie staunte über sich selbst, wie ungezwungen sie sich mit Clem unterhalten konnte, denn sie hatte sich vor dieser Begegnung sehr gefürchtet.
»Lass dich nicht von ihm einschüchtern«, hatte Lavinia zu ihr gesagt. »Bleibe hart. Stelle dein Anliegen dar, und belasse es dabei. Debattiert braucht darüber gar nicht werden.«
Clem schüchterte sie nicht ein, schien aber auch nicht bereit, ihr Lydia kampflos zu überlassen.
Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn zu fragen: »Wann kann ich Lydia sehen?«
»Das werde ich Ihnen mitteilen. Kommen Sie mit mir zu Thora. Sie hat bei der Sache auch ein Wort mitzureden.«
»Thora?«, fragte Lil fassungslos. »Ich bin mir nicht sicher. Muss das sein?«
»Sie wird weder beißen noch schießen«, sagte er müde. »Mir ist bewusst, dass Sie Lydia jederzeit zurückverlangen können, doch Sie werden das Kind nur bekommen, wenn Sie und Thora sich einigen. Sie hat viel durchgemacht, und ich dulde nicht, dass das Kind einfach verschwindet. Lydia befindet sich zur Zeit auf Lancoorie und ist dort in besten Händen. Sie müssen Thora aufsuchen, müssen ihr sagen, wer Sie sind und wo Sie leben, damit sie sich allmählich an den Gedanken gewöhnen kann. Sind Sie damit einverstanden?«
»Ich denke schon. Ja.«
Er erhob sich. »Dann müssen wir uns auf den Weg machen. Wir leben am Strand. Ich bringe Sie mit dem Wagen hin und hole Sie heute Nachmittag wieder ab.«
Lil konnte den Ozean riechen, das Salz in der Luft schmecken. Früher hatte sie sich daran berauschen können, doch nun erfüllte sie der Geruch mit Angst. Clem Price hatte sie nicht eingeschüchtert, doch vor der Begegnung mit der eleganten, hochmütigen Thora fürchtete sie sich. Lil fühlte sich schon jetzt unterlegen. Hatte man ihr eine Falle gestellt? Hatte Clem erraten, dass Lil Cornish sich wieder in das elende Mädchen zurückverwandeln konnte, das mit seinem nichtsnutzigen Ehemann einst vor ihrer Tür gelandet war? Wie geschickt von ihm. Schon als der Wagen auf der sandigen Straße wendete, verließ sie der Mut, und sie hätte ihn am liebsten angefleht kehrtzumachen, doch selbst das traute sie sich nicht.
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