Leuchtendes Land
Stattdessen blieb sie steif wie ein Stock neben ihm sitzen, als er das Pferd in Richtung Strandhaus lenkte.
Selbst wenn Thora nicht richtig im Kopf war, brauchte es doch eine gehörige Portion Mut, um mit einer Waffe in der Hand einen Ballsaal zu betreten. Würde sie sich überhaupt dazu herablassen, mit Lil zu sprechen? Oder würde sie einen Wutanfall bekommen? Lils Magen krampfte sich zusammen, als sie aus dem Gebüsch auf eine Lichtung fuhren. Vor ihnen tauchte ein kühl wirkender, weißer Bungalow mit grünem Dach auf.
Clem hielt den Wagen neben dem frisch gestrichenen Stall an und half ihr beim Aussteigen. »Passen Sie auf Ihr Kleid auf, Mrs. Cornish. Das Seegras ist scharf.«
»Das weiß ich selbst«, dachte sie missbilligend. »Ich bin keine Idiotin.« Ihre feindselige Haltung entsprang dem Bedürfnis nach Selbstschutz. Doch sie nickte nur stumm und hielt ihre Röcke fest umklammert.
»Das ist nicht der Hintereingang«, sagte Clem, als er sie zu einer langen Holztreppe führte. »Wir haben das Haus so gebaut, dass wir den Blick aufs Meer und die frische Brise genießen können.«
Lil schluckte und holte tief Luft, doch von Thora war nichts zu sehen. Schon lag Lils Hand auf dem grün gestrichenen Geländer, das einen lebhaften Kontrast zu den weißen Stufen bildete, als Clem sagte: »Gehen Sie hinauf.«
Lil erstarrte. Vermutlich wollte er an diesem heißen Tag zuerst das Pferd tränken. Sie machte Anstalten, auf ihn zu warten, doch er winkte ab.
»Kommen Sie nicht mit?«, fragte sie verzweifelt.
»Nein«, sagte Clem bestimmt. »Ihr seid die Mütter. Ihr macht es unter euch aus. Das wollten Sie doch, oder?«
»Aber …«
»Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Gehen Sie. Thora erwartet Sie.«
Lil stieg die Stufen hinauf und gelangte auf eine Veranda, die mit einem Holzgeländer eingefasst war. Auf Zehenspitzen schlich sie über die blankpolierten Dielen und putzte sich die Schuhe ausgiebig auf der Matte ab, bevor sie an die offenstehende Tür klopfte – so schüchtern, wie man es von der Frau des Farmarbeiters Ted Cornish erwarten konnte.
Thora Price trat aus dem Schatten hervor und sah auf Lil hinunter. Sie war größer, als Lil sie in Erinnerung hatte. Das lange, blonde Haar wurde nur von einem blauen Band zusammengehalten. Sie trug ein schlichtes, blaues Musselinkleid, das einem Vergleich mit Lils bestem Reisekostüm aus beigefarbener Ripsseide nicht standhielt. Robert hatte es ihr im Rausch seiner kurzlebigen Heiratspläne gekauft. Doch gleichgültig, was Thora trug, dachte Lil niedergeschlagen, sie triumphierte immer, weil sie so verdammt elegant aussah. Lil berührte ihr dunkles Haar unter dem ausladenden, modischen Hut, der mit gerollten Bändern und Seidenblumen verziert war, und murmelte etwas Unverständliches, als Thora sie hereinbat. Sie folgte ihr in ein sonnendurchflutetes Zimmer mit Blick auf den Ozean.
»Das ist sehr hübsch.«
»Ja. Tee?«
»Nein, danke.« Lil war zu nervös, um eine Tasse in die Hand zu nehmen.
»Dann müssen Sie etwas Kaltes trinken. Wir haben Zitronenlimonade.«
»Das wäre schön.« Warum hatte sie das gesagt? Lil stöhnte innerlich. Warum nicht einfach nur: »Vielen Dank«?
Sie beobachtete Thora, als diese mit einem Krug und zwei Gläsern zurückkehrte. Sie wirkte nicht geistesgestört. Mit der makellosen Haut, den hohen Wangenknochen und den himmelblauen Augen sah Mrs. Price so schön und gelassen aus, dass Lil ein wenig eifersüchtig wurde. Kein Wunder, dass Clem Price so verrückt nach ihr war, dass er zu allem, was sie tat, ja und amen sagte. »Hätte ich nur einen solchen Mann«, dachte Lil sehnsüchtig.
»Vielen Dank, Mrs. Price.« Lil nahm die Limonade und versuchte, sich beim Trinken zu beherrschen, denn bei der Hitze hätte sie das Getränk am liebsten gierig hinuntergestürzt. Sie sah zum Strand hinunter und sah Clem Price durch den Sand laufen.
»Da ist Mr. Price«, sagte sie. Wie dumm. Als ob seine Frau das nicht wüsste.
»Ja«, erwiderte Thora, »ihn hat das alles sehr getroffen. Die Sache mit Lydia, meine ich. Mehr, als er eingestehen will. Er sagt mir immer, ich solle nichts in mich hineinfressen und über jede Kleinigkeit mit ihm sprechen, und nun sehen Sie sich das an! Er grübelt, macht sich Sorgen und will nicht eingestehen, dass ihn etwas quält. Grübeln Sie auch, Mrs. Cornish?«
»Oh, ich denke schon. Wahrscheinlich. Nein. Eigentlich versuche ich stets das Beste für mich zu erreichen, doch in der Regel geht es schief.
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