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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
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musste stärker und tapferer sein, als ich es für möglich gehalten habe. Und wie beim letzten Mal hat Jesse es mit mir durchgestanden."
    „Wie beim letzten Mal?"
    „Als ich fast ertrunken wäre. Es war sehr ähnlich."
    Palina grinste breit. „Ja, ja. Jesse hat es mit Ihnen durchgestanden. So muss es sein. Das überrascht mich nicht."
    „Aber er hat sich verändert, seit das Baby da ist", gestand Mary mit belegter Stimme. „Er ist beinahe so abweisend wie zu Anfang. Er will allein sein und nichts mit mir und Davy zu tun haben. Ich habe den Eindruck, ihm wäre lieber, das alles wäre nicht passiert."
    „Wenn Sie ihn danach fragen, wird er das behaupten." Palina stand auf und zog den Schal enger um die Schultern. „Aber sehen Sie mich an. Ich bin eine alte Frau, die sich in alles einmischt. Ich schaue mir die Menschen an und sehe, wie sie wirklich sind. Ich sehe Dinge, die anderen verborgen bleiben."
    „Daran zweifle ich nicht, Palina. Das wusste ich eigentlich schon immer."
    „Wenn ich Sie und Jesse zusammen sehe, sehe ich die Liebe zwischen euch."
    Eine seltsame Wärme durchströmte Mary. Sie spürte die Wahrheit in Palinas Worten. „Was meinen Sie damit?"
    „Sie sehen die Wahrheit nicht, weil Sie zu sehr mit Ihren Gefühlen beschäftigt sind, und Jesse ist zu sehr damit beschäftigt, seine Gefühle zu verleugnen. Aber ich sehe, wie er Sie anschaut, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Ich sehe, mit welcher Fürsorge Sie mit ihm umgehen. Und wenn Sie glauben, er will, dass Sie fortgehen, so irren Sie sich. Er hat Angst, Sie zu verlieren."
     
    Wenn Jesse sich wirklich bemühte, schaffte er es, minutenlang nicht an Mary und das Kind zu denken. Wenn sie mit dem Säugling in der Kammer neben der Küche schlief, wenn er seine Arbeit im Leuchtturm verrichtete, konnte er sich einreden, es habe sich nichts geändert.
    Er machte einen Spaziergang zur geschützten Bucht unterhalb von Scarborough Hill, wo der Wald sich lichtete und der Boden mit hohen Farnen bedeckt war, die sich fast bis zur Küste zogen. Seit der Geburt des Kindes waren neun Tage vergangen, und er hatte nicht ein einziges Mal nach dem Boot geschaut. Annabeiles Telegramm hatte ihn beruhigt, in dem sie ihm mitteilte, sie sei wohlauf und guter Dinge und freue sich auf die Rückkehr der Eltern von ihrem ausgedehnten Aufenthalt in Europa. Offenbar hatte Granger nur Mary schändlich behandelt.
    Jesse empfand eine beschämende Erleichterung, seine Schwester nicht besuchen zu müssen. Allein bei dem Gedanken, Segel zu setzen, hatte ihn kaltes Grauen gepackt.
    Wie immer spürte er eine andächtige Stille in der Bucht unter dem Berg. Abel Sky hatte ihm einmal erzählt, der Berg sei ein heiliger Ort für die Chinook-Indianer. In einer Zeit, bevor der weiße Mann aufgetaucht war, hatten die Eingeborenen ihre Verstorbenen hierher gebracht, sie in Kanus gebettet und aufs Meer hinausgeschickt.
    Ein leichter Wind kräuselte die Wellen der stillen Bucht und strich durch die Blätter zweier Weißdornbäume, als raunten die toten Seelen der Indianer ihm etwas zu. Jesse schüttelte den bizarren Gedanken ab, überprüfte das Boot, das wie immer im tadellosen Zustand war. Er kümmerte sich mit der gleichen Hingabe darum wie um die Pferde. Aber im Gegensatz zu den Pferden, mit denen er gelegentlich in die Brandung ritt, ließ er den Kutter niemals zu Wasser. Der Rumpf und die Messingbeschläge glänzten, als warte alles auf den großen Augenblick, der nie eintreffen würde, jedenfalls nicht, solange Jesse Dienst auf der Station tat.
    Er säuberte die Bilge von welkem Laub, das der Wind hereingeweht hatte. Aber irgendwann war das Boot so sauber wie geleckt, und es wurde Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Er setzte sich seufzend auf die Ruderbank. Wie lächerlich: Er war hin- und hergerissen zwischen einem Boot, das zu segeln er Angst hatte, und einem Haus, das zu betreten er fürchtete.
    Fluchend machte er sich auf den Heimweg, ging durch den Garten, polterte die Holzstufen der Veranda hinauf und schlug die Haustür mit einem lauten Knall hinter sich zu.
    Mary saß vor dem Kamin, in einem Schaukelstuhl, den Magnus ihr geschenkt hatte. Sie trug ein von Palina genähtes blaues Kleid. Der Schein des Feuers tauchte sie in einen warmen Schein. Das Kleid war vorne aufgeknöpft, denn sie stillte gerade ihr Kind.
    Bei Jesses Eintreten hob sie den Blick. Ihre Lippen umspielte ein liebevolles Lächeln. Zum ersten Mal sah er wirklich, wie sie das Kind stillte, und die

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