Leuchtfeuer Der Liebe
gesunden Knaben entbunden."
Welch ein Aufruhr an Gefühlen versteckte sich hinter diesen kargen Worten!
„Juhu!" ertönte Marys Stimme von unten herauf, gefolgt vom vertrauten Poltern übergroßer Gummistiefel auf den Eisenstufen.
Jesse sprang auf. Angst zog ihm das Herz zusammen. Sie war seit Wochen nicht hier gewesen. War etwas passiert? Etwas mit dem Baby? Er lief ihr entgegen. Ein Blick in ihr Gesicht beruhigte ihn. Sie lächelte strahlend und sah entzückend aus in dem langen Gummimantel und einem breiten Hut.
„Was ist passiert?"
„Nichts Ernstes." Sie öffnete den Mantel und hielt ihm ein Bündel entgegen. „Ich muss zu den Jonssons hinüber. Palina fühlt sich nicht wohl." Bevor er einen Einwand erheben konnte, hatte sie ihm das Bündel in die Hand gedrückt, aus dem Davys seidiges Köpfchen mit großen blauen Augen lugte.
„Kümmere dich bitte um den Kleinen, solange ich weg bin. Erik meint, es sei nur eine harmlose Erkältung, aber wir wollen doch nicht, dass Davy sich bei ihr ansteckt, nicht wahr?"
„Kannst du Palina nicht morgen früh besuchen?"
„Sie ist krank und braucht mich." Ohne auf seine Zustimmung zu warten, drehte Mary sich um und ging die Eisenstufen hinunter.
„Verdammt noch mal, ich kann mich nicht gleichzeitig um das Kind kümmern und um die Wache."
„Davy wird bestimmt ganz brav sein", rief sie, und ihre Stimme hallte durch den Leuchtturm. „Ich habe ihn gestillt und frisch gewickelt."
„Aber ..."
„Er wird schlafen wie ein Engel."
„Ich weiß doch nicht, was ..."
„Auf Wiedersehen!" Die untere Eisentür fiel laut hinter ihr ins Schloss.
Jesse stand auf der Eisenstiege und blickte hilflos auf das Baby in seinen Armen, das mit großen Augen zu ihm aufsah.
„Verdammt noch mal", murmelte er. „Was soll ich bloß mit dir anfangen?"
Das Baby blinzelte schläfrig. Es sah wirklich aus wie ein kleiner Engel, mit seinem zarten Gesicht und den großen Unschuldsaugen.
Jesse verzog den Mund und lächelte. Auch das Baby verzog den Mund, aber nicht, um zu lächeln. Es sperrte den Mund auf und stimmte ein herzzerreißendes Geschrei an.
Das Weinen des Kleinen war zwar nicht neu für Jesse, aber zum ersten Mal war Mary nicht in der Nähe, um Davy zu trösten und zum Schweigen zu bringen. Jesse war allein, das Kind schrie, und er wusste sich nicht zu helfen.
Am liebsten wäre er Mary nachgelaufen und hätte ihr das schreiende Bündel in die Arme gedrückt. Doch das Leuchtfeuer mahnte ihn an seine Pflicht. Er musste bleiben.
Verärgert betrat er den Geräteraum, um die Zahnräder aufzuziehen. Es war schwierig, mit dem schreienden Kind auf dem Arm die Kurbel zu bedienen, aber irgendwie schaffte er es.
Danach stieg er in den Zwischenstock hinauf. Davys Geschrei hallte in dem zylindrischen Hohlraum wider und verstärkte sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Es gab kein Entrinnen, Jesse musste sich in Geduld fassen und abwarten, bis der Sturm sich legte.
„Nur hör mal, kleiner Seemann", sagte er mürrisch. „Jetzt reicht es aber." Mary redete ständig auf das Baby ein, der Klang ihrer Stimme beruhigte es meist. „Hör endlich auf mit dem Gebrüll, Kleiner."
Das Kind hörte auf zu weinen und schaute Jesse an. Eine einzige Träne rollte noch über die Wange. Jesse begann zu hoffen, der Sturm sei vorüber.
Aber Davy holte tief Luft und ließ erneut ein Gebrüll los, lauter und durchdringender als zuvor.
„Habe ich dich erschreckt?" Schuldbewusst begann Jesse, im Kreis durch den kleinen Raum zu wandern. „Du bist wohl nicht an meine tiefe Stimme gewöhnt, wie?" Mit jeder Sekunde wuchs Jesses Ratlosigkeit. „Beruhige dich, sei ein braves Kind. Nun sei doch still."
Das Baby brüllte noch lauter, drückte das Kreuz durch, stemmte sich gegen ihn, strampelte mit Händen und Füßen und schrie sein Unglück in die Welt hinaus. Jesse fühlte sich völlig überfordert.
Dann versuchte er, der Ursache des Geschreis auf den Grund zu gehen. Er legte das Baby auf den Tisch, wölbte eine Hand um seinen kleinen Hinterkopf und begann, Davy aus der Decke zu wickeln, um zu prüfen, ob ihn irgendetwas zwickte. Aber nein, die Windel war trocken, die Sicherheitsnadeln waren fachgerecht geschlossen, damit nichts die zarte Haut verletzen konnte. Jesse wunderte sich, welche Kräfte das winzige Menschenkind entwickelte, während es wild um sich schlug und brüllte, als sei der Teufel hinter ihm her.
Jesse wickelte Davy wieder in die Decke, was bei Mary immer so einfach aussah. Ihm aber
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