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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
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uns.«
    Ich schniefe und lächle, während mir die Tränen weiter aus den Augen laufen, ich fange sie mit der Zungenspitze auf und in mir ist plötzlich eine Klarheit und eine Weite. Wie früher, nachdem ich als kleines Mädchen auf Mamas Schoß geweint hatte und am Ende feststellen konnte, dass doch nicht alles so tragisch ist. Diese Weite macht auch jetzt Platz. Für mich. Für meinen Atem.

    Als wir genug geweint haben, ziehen Mama und ich uns am Schreibtischbein hoch, sodass wir mit den Rücken am Heizkörper lehnen und ungläubig ins alte Jugendzimmer meiner Schwester sehen. Nichts hat sich seit damals verändert. Das Bett steht da, wo es immer stand, darüber dieselbe geblümte Überdecke und die Rüschenkissen. Der weiß lackierte Kleiderschrank, der weiße Schreibtisch. Neu ist nur das riesige Bird’s Nest-Poster an der Wand.
    Und in der offenen Zimmertür steht Arthur. Sein Gesicht ist blass, seine hellbraunen Haare hängen ihm stumpf um das Gesicht. Er hat sich, obwohl es draußen so heiß ist, ein dickes Holzfällerhemd übergezogen und ein Halstuch umgewickelt. »Ich wollte mal nach euch sehen.«
    Mama und ich lächeln müde und Arthur kommt näher. Seine Lippen sind spröde, doch sein Blick ist wach und klar. Ich halte ihm den Karozettel mit Alinas Schrift hin. »Sie hat es geplant.«
    Arthur streckt seinen gebräunten Arm aus und ich sehe seinen Messingarmreif, den er damals aus Afrika mitgebracht hat. Darunter pulsiert seine Ader und die Haut ist von dem Messing grünlich gefärbt. Er nimmt den Zettel hoch und gleichzeitig lässt er sich runter auf die Knie, neben uns sinken. Seine Augen fliegen über das geknickte Papier, seine Kieferknochen malmen. Schließlich faltet er den Zettel wieder zusammen und gibt ihn mir zurück. Lange sieht er mich mit seinen grünen Augen an, so, als wollte er in meinem Blick lesen, was es zu diesem Unglück zu sagen gibt. Was es zu uns zu sagen gibt. Doch ich weiß es ja selbst nicht. Ich versinke in seinen wachen Augen, sinke tiefer in ihn hinein, als könnte ich in ihm verschwinden und mich an seine Innenwände schmiegen.
Mit der Hand fährt er sich über seine hohe Stirn und streicht eine Haarsträhne zurück. Dann richtet er sich auf und beißt sich auf die Lippen, bevor er mit brüchiger Stimme fragt: »Hat sich Bernhard mal gemeldet?«
    Mama und ich schütteln den Kopf.
    »Weiß er denn überhaupt, was passiert ist?«
    Ich reibe mir über die brennenden Augen, plötzlich habe ich Kopfschmerzen. »Keine Ahnung. Ich habe Papa nicht angerufen. Mama erst recht nicht.«
    Arthur nickt besorgt. »Soll ich ihn anrufen?«
    Meine Mutter seufzt und streicht sich das Kleid über den Knien glatt: »Wenn du das möchtest.«
    »Na ja, er sollte schon wissen, was hier vor sich geht.«
    »Wozu?« Mama seufzt wieder. »Ihn hat doch sonst auch nie interessiert, womit wir zu kämpfen hatten.«
    Arthur nickt und fährt unbeirrt fort. »Ich werde ihn anrufen. Er hat eine Familie und die braucht jetzt seine Hilfe. So einfach ist das. Wenn ich sonst irgendwas für euch tun kann, lasst es mich wissen. Ich bin drüben, die Leute kommen gleich mit dem Segelstoff. Da muss ich leider eben mal ein Auge drauf werfen. Meint ihr, ihr kommt solange ohne mich zurecht?«
    Wir antworten wie aufgezogen, ganz benommen, ohne wirklich zu realisieren, was wir da sagen. »Ja.«
    Und jetzt druckst Arthur doch herum. »Um ehrlich zu sein, ich überlege, ob ich die ganze Sache nicht abblase. Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, euch hier alleine zurückzulassen.«
    »Nein.« Mit einem Mal klingt Mamas Stimme fest und entschlossen. »Alina hätte nicht gewollt, dass du deine Aktion abbläst.«
    »Okay, ich werde drüber nachdenken.« Arthur steht umständlich
wieder auf und reicht uns beiden seine Hände, um uns daran hochzuziehen. Mama und ich strecken ihm unsere Hände entgegen und im nächsten Moment stehen wir alle dicht beieinander. Arthur legt seinen Arm um mich und flüstert in mein Ohr: »Schläfst du heute Nacht bei mir?«
    »Klar.«
    »Dann bis später.«
    Mein Freund verschwindet aus dem Zimmer, aus dem Haus und wir sehen ihn draußen am Fenster vorbeigleiten. Alinas Eltern kommen ihm entgegen. Tatsächlich tragen sie ihre tannengrünen Jogginganzüge und tatsächlich haben sie ihre beiden Yorkshireterrier dabei. Arthur reicht ihnen nacheinander die Hand und legt der Mutter die andere Hand auf die Schulter. Alinas Eltern blicken starr an Arthur vorbei, direkt zu Mama und mir, durch die

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