Leute, die Liebe schockt
Handgelenken. Auf das Stirnschweißband mit dem goldenen Adidas-Aufnäher hat er glücklicherweise verzichtet. Damit sieht er nämlich echt wie ein Geisteskranker aus, der aus der Klapsmühle entflohen ist. Cotsch wird regelrecht aggressiv, wenn er sich das Frotteeteil überstülpt. Einmal, als er gerade mit dem Training beginnen wollte, hat sie von der Zuschauerbank gerufen: »Helmuth, du siehst aus wie ein Volltrottel. Nimm das ab, oder hast du keinen Respekt vor mir? Was sollen deine Schüler denken, wenn ich mit einem Mann mit Stirnband herumlaufe? Dass ich seine Pflegerin bin?« Ich saß zufällig neben ihr, weil sie wollte, dass ich mir angucke, was für einen tollen Tennistrainer sie sich geangelt hat. Ich muss nicht sagen, dass Helmuth, inklusive mir und der Dame, die er gerade trainieren wollte, vor Scham rot angelaufen sind und dass wir nicht wussten, was wir sagen sollen. Was ich cool fand: Helmuth hat das Stirnband nicht abgenommen, sondern konzentriert und hochmotiviert seine herausragende Stunde gegeben. Vor so viel innerer Stärke habe ich Respekt.
Wie auch immer. Ich humple näher ans Auto ran und frage: »Apropos Cotsch. Wo ist sie?«
Helmuth zuckt mit den Schultern, zieht die Lippen zwischen die Zähne und bläst die Luft langsam aus, als würde er bei einer dieser Volksmusiksendungen als Bläser mitmischen wollen.
»Na ja, ihr ist ein bisschen übel geworden auf der Fahrt hierher. Da musste ich sie an einer Bushaltestelle rauslassen. Sie, ich meine …«
»Musste sie sich übergeben oder was?«
»Ja, so kann man das wohl nennen. Ich weiß nicht, inwieweit du über ihren, ich sage mal, Zustand informiert bist …«
»Keine Sorge, Helmuth. Ich weiß Bescheid.«
»Okay, alles klar. Prima, dann muss ich dir ja nichts mehr erklären, was du schon weißt. Prima. Ja, sie ist also, deine Schwester ist also schwanger. Ja, prima …«
Helmuth klatscht in seine behaarten Tennistrainerhände und lächelt tapfer. Ich sehe genau, dass er am liebsten heulen würde. Ich meine, Helmuth ist echt in gewisser Weise ein Tier und ziemlich belastbar, aber er ist auch sensibel, das habe ich immer wieder mitbekommen. Er macht sich echt viele Gedanken um Beziehungen und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, und ich glaube, er wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich im Leben Ruhe zu finden. Er ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Nur: Mit meiner Schwester hat er sich definitiv die Falsche ausgesucht, um dieses, ich sage mal, Traumziel zu erreichen.
Galant öffnet er mir die hintere Autotür, damit ich mich endlich reinsetzen kann. Ich hample hier ja schon die ganze Zeit mehr oder weniger auf einem Bein auf dem Bürgersteig herum.
»Danke.«
Helmuth reicht mir den Anschnallgurt, so als sei ich eine Filmdiva, und meint: »Na, dann wollen wir mal.«
Ich melde: »Alina kommt auch noch mit. Ich frage mich nur, wo sie so lange bleibt.«
Helmuth beugt sich zu mir runter. »Soll ich mal eben gucken gehen?«
»Nee, besser nicht. Die kommt bestimmt gleich.«
Und tatsächlich, als Helmuth die Autotür auf meiner Seite zuschlägt, kommt Alina mit fettem Rucksack und Plastiktüte aus der Haustür gestürmt, rennt den Vorgartenweg runter, springt in ihrer zerfetzten Röhrenjeans über die Jägerzaunpforte, düst ums Auto rum und wirft sich zu mir hinten auf die Rückbank.
Sie keucht: »Okay, ich wäre dann so weit. Es kann losgehen.«
Helmuth setzt sich vorne rein und dreht den Zündschlüssel um. Er sieht in den Rückspiegel und nickt Alina zu. »Grüß dich, Alina.«
Sie hebt ihre Hand, die in so einer Art schwarzem Nieten-Lederhandschuh ohne Finger steckt. »Hallo.«
Ich frage: »Was ist denn da bitte in dem Rucksack drin?«
Alina guckt gespielt entspannt aus dem Fenster, hinüber zu ihrem Elternhaus. Hinter der großen Scheibe vom Wohnzimmerfenster bewegt sich die Gardine. »Ach, nur meine Klamotten.«
»Hä? Wozu die denn?«
»Ich muss doch mal meine Klamotten wechseln.«
»Wann?«
»Na, wenn ich zur Schule gehe.«
»Aha.«
Leute, ich checke gerade gar nichts mehr. So viel ist mal klar. Warum nimmt Alina einen Sack voller Klamotten mit, wenn wir wegen meinem Fuß zum Notarzt fahren? Helmuth scheint auch ein gewisses Interesse an Alinas geistigem Zustand zu haben, ich sage doch, er ist sensibel. Der spürt sofort, wenn was im Busch ist. Er blinkt, fährt aus Alinas Wohnstraße raus und fragt: »Und Alina, wie geht es dir?«
Sie zuckt mit den Schultern und fummelt an ihren nietenbesetzten
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