Leute, die Liebe schockt
knallhart im Einfordern ihrer Wünsche und Bedürfnisse. Total egoistisch.
Ich räuspere mich und sage mit fester Stimme: »Cotsch, ich brauche Hilfe.«
Der Satz zündet bei Cotsch immer. Weil sie auf der anderen Seite gentechnisch so programmiert ist, dass sie mir, ihrer jüngeren Schwester, immer beisteht, sobald ich mich in einer Notsituation befinde. Darum schiebe ich auch noch schnell nach: »Das ist ein Notfall.«
Sofort wird die Stimme meiner Schwester weicher. »Was ist passiert? Hat dich Arthur schlecht behandelt?«
Typisch meine Schwester. Wenn eine Frau in eine Notlage gerät, sind in ihrer Welt immer die Männer schuld. Ich sage: »Quatsch. Ich habe mir flüssigen Teppich in den Fuß geschmort.«
»Was hast du?«
»Geschmolzener Plastikteppich hat sich in meine Fußsohle gebrannt und ist jetzt quasi mit dem Fleisch verwachsen und muss womöglich rausoperiert werden. In jedem Fall kann ich nicht mehr laufen.«
»Das ist ja grauenhaft, wo bist du?«
»Bei Alina.«
»Kann die Mutter dich nicht fahren?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Ich atme tief ein, sehe rüber zu Alina, die sich wieder mit ihrer Bastelschere am Jeans-Oberschenkel zu schaffen macht. Alina ist aber auch echt renitent, mein lieber Schwan. Ich flüstere: »Weil die Mutter ihr gerade eine reingehauen hat.«
»Was? Ich versteh dich nicht. Red mal lauter.«
Ich sage:
»Weil es einen unguten Vorfall gegeben hat.«
»Aha.«
Ich merke, meine Schwester versteht gar nichts. Aber vor Alina kann ich ja jetzt nicht ihre knifflige Familiensituation in aller Breite besprechen. Darum sage ich: »Erzähl ich dir später. Ist ziemlich hart.«
Doch meine Schwester kann das Thema irgendwie nicht fallen lassen. »Ist sie tot oder was? Die war doch schon so alt …«
»Nein. Meinst du, Helmuth könnte mich abholen?«
»Der hat seinen Wagen schon in der Garage.«
Heaven! Manchmal ist meine Schwester so was von piefig. Der hat seinen Wagen schon in der Garage! Wen interessiert das? Cotsch ist echt genau wie Papa. Voller Prinzipien. Wenn der Wagen schon in der Garage
ist, kann er natürlich nicht mehr rausgeholt werden. Ich frage mich nur, welcher Piefkopf diese Garagen-Grundgesetze aufgestellt hat? Papa tut ja gerne so, als wäre es Gott höchstpersönlich gewesen, weswegen an diesen Pief-Gesetzen auch nicht zu wackeln ist. Genauso ist es bei Cotsch. Aber da mache ich nicht mit.
Ich sage: »Kann ich mal mit Helmuth sprechen?«
Bei dem habe ich nämlich noch was gut, weil ich dem ständig seelischen Beistand leiste, wenn er mit meiner Schwester nicht mehr weiterweiß und drauf und dran ist, das Handtuch zu werfen. Dann ruft er mich gerne auf dem Handy an und jammert: »Lelle, ich verstehe nicht, was sie hat. Ich liebe sie doch und tue alles für sie. Aber sie ist nie zufrieden.« Dann treffen wir uns im Eiscafé und ich erkläre: »Weil sie dich auserkoren hat, damit du alle Verbrechen, die jemals an den Frauen verübt wurden, wiedergutmachst.« Und dann nickt Helmuth, und ich weiß, dass er null verstanden hat, was ich ihm gesagt habe. Ist ja auch nicht leicht zu verstehen. Das gebe ich gerne zu. Manchmal seufzt Helmuth und gesteht mir: »Ich kann nicht mehr. Ich bin doch ein alter Mann und will einen friedlichen Lebensabend genießen. Ein bisschen reisen, ein bisschen Luxus, ein bisschen Liebe.« Ich tätschele ihm dann gerne den muskulösen Unterarm und verspreche: »Wenn du Cotsch hart rannimmst und dir nichts bieten lässt, was nicht ausdrücklich der Gemeinschaft dient, wirst du es schaffen, aus ihr die tollste Partnerin zu machen, die du je hattest. Helmuth, ich schätze, das ist deine Lebensaufgabe.« Mit dem Ratschlag kriege ich ihn immer. Da fühlt er sich herausgefordert und bekommt dieses kämpferische Blitzen in den Augen.
Jetzt vernehme ich seine tumbe Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Hallo? Elisabeth? Wie geht es dir?«
»Schlecht. Ich habe geschmolzenen Teppich im Fuß.«
»Ach du je! Und nun, meine Lütte?«
Woher soll ich das wissen? Ich meine, Helmuth ist mehr als dreißig Jahre länger auf der Welt als ich. Er wird doch wohl Erfahrung mit geschmolzenem Teppich im Fuß haben! Warum wollen die Leute immer eine Antwort von mir? Sehe ich aus, als hätte ich die Weisheit mit Löffeln gefressen? Vielleicht brauche auch ich manchmal Hilfe und möchte mich einfach nur fallen lassen. Und das mache ich jetzt. Ich gebe mich absichtlich auf, um zu signalisieren, dass ich am Ende bin. Langsam zieht sich das Blut aus meinen
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