Leute, die Liebe schockt
Wangen. »Lelle, was siehst du so verheult aus?« Und bevor ich irgendwas sagen kann, plappert sie schon weiter: »Guck mal, den Wagen hat Helmuth besorgt. Ist der nicht toll? Das ist der Bentley unter den Kinderwagen. Er heißt Rockstarbaby und kostet 500 Euro. Ist der nicht toll? Willst du mal schieben?«
»Von mir aus.«
Leute, ich schiebe einen leeren Kinderwagen vor unserem Haus rum, nur um Helmuth und meiner Schwester eine Freude zu machen. Ich sage euch, in meinem zerrissenen Gemütszustand ist das alles andere als leicht. Ich
bräuchte jetzt dringend eine Zigarette, um mich runterzubringen. Aber ich schaffe es, mich nach außen hin zusammenzureißen und begeistert zu lächeln. Nennt mich Jesus!
Als ich ein paar alberne Runden gedreht habe und meiner Schwester und Helmuth mehrfach bestätigt habe, dass das Ding seinem Namen alle Ehre macht, gehen wir ins Haus rein. Helmuth schleppt den Rockstarbaby-Wagen hinterher, durchs Haus, in den Garten, wo Mama und Alina gerade mit ihrem Aufsatz fertig sind. Alina packt ihre Hefte zusammen, in ihren hochgesprayten Haaren haben sich ein paar weiße Blütenblätter von der Akazie gefangen, so als sei sie in ein Schneegestöber gekommen. Das merkt sie gar nicht. Witzig. Vielleicht bleiben die bis nach dem Konzert darin hängen. Dann hätten die Jungs von Tokio Hotel tüchtig was zu staunen. »Hey, krass, was hast du denn da Irres in deiner Frisur hängen?«
Mama steht schnell vom Tisch auf, lächelt und tut wie immer hocherfreut. »Das ist aber schön, dass ihr vorbeikommt. Wie läuft’s in der Schule, Constanze?«
Bevor meine Schwester antworten kann, stellt sich Helmuth schnell vor sie und meint mit ruhiger Stimme: »Ganz wunderbar. Wir lernen täglich gemeinsam für die mündliche Prüfung. Mein Gott, es ist fast so, als würde ich auch noch mal die Schulbank drücken. So viel, wie ich in den letzten Wochen gelernt habe, habe ich während der ganzen Schulzeit nicht gelernt. Ich überlege schon, ob ich mir nicht doch mal diese Fremdsprachen-CD-Roms besorge, um Chinesisch zu lernen. Ich merke, in meinen Holzkopf passt noch was rein.« Zur Bestätigung
klopft Helmuth auf seinen Holzkopf und grinst zufrieden.
Nur meine Schwester ist überhaupt nicht zum Scherzen aufgelegt. Obwohl sie gerade noch bester Stimmung war, schiebt sie jetzt Helmuth zur Seite und meint mit bedrohlichem Unterton: »Mama, sag mal, hältst du mich für minderbemittelt oder so? Ich meine, das klingt jetzt so, als würdest du echt befürchten, dass ich mein Abitur nicht schaffe. Offenbar glaubst du, nur die Streber-Susanna schafft ihr Abitur mit Auszeichnung? Danke, na, das macht mir ja Mut. Vielen, vielen Dank. Anstatt deine Tochter moralisch zu unterstützen, fängst du an zu zweifeln. Findest du nicht, dass so eine Schwangerschaft schon Behinderung genug ist? Ich meine, mein ganzes Leben lang musste ich mich gegen deine Zweifel behaupten. Das war nicht leicht, okay?«
Mama lächelt gequält und klatscht angespannt in die Hände. »Wollt ihr einen Tee?«
Mama hat definitiv dazugelernt. Nämlich dass es nichts bringt, sich auf Diskussionen mit Cotsch einzulassen, die ein irrationales Thema zugrunde liegen haben. In diesem Fall ihren schwerwiegenden Komplex, Mama würde sie für dumm halten. Wirklich! Ständig beschäftigt sie sich damit, dass Mama und Papa sie für minderbemittelt halten. Das ist ein richtiger Tick bei ihr. Keine Ahnung, wie der zustande gekommen ist. Es gibt kein Mädchen auf der ganzen Welt, das mehr Lob erfahren hat als meine Schwester. Das zeigt wieder mal, dass man als Eltern machen kann, was man will. Es ist immer falsch.
Um aus der familiären Schusslinie zu geraten, quetscht
sich Alina hinter Mama und dem Kinderwagen vorbei und meint mit einem Pfiff durch die Zähne: »Krasse Karre.«
Dann verschwindet sie durch die Terrassentür nach drinnen, und ich ständere noch ein bisschen von einem Bein aufs andere, um Komplimente zu verteilen, damit Cotsch sich jetzt nicht doch noch auf ihr Schulthema einschießt.
Ich sage: »Gut siehst du aus. Wie geht’s dir denn sonst? Strampelt es schön?«
Meine Schwester kneift ihre Augen fest zusammen. »Allerdings. Und obwohl ich schwanger bin, werde ich meinen Schulabschluss schaffen. Auch wenn ich von meinen Eltern nie gefördert wurde - im Gegensatz zu Susanna. Ich meine, ihr müsst euch nicht wundern, wenn ich nur so eine zweitklassige Karriere machen kann, weil ich außer ein paar guten Noten nichts vorzuweisen habe.«
Mama
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