Leute, mein Herz glueht
froh, als ich es geschafft hatte, Cotsch von ihm runterzuzerren und gen Ausgang zu bugsieren.
Jetzt blitzt sie mich aus glühenden Augen an. »Lelle, zieh den Bademantel aus oder ich reiß ihn dir runter.«
»Definitiv nicht!«
»Dann werde ich mich jetzt zum Sterben niederlegen. Genau hier.«
Und - schwups - lässt sie sich einfach wegsacken. In die nächstbeste Pfütze. Wie ein Vergewaltigungsopfer mit triefnassen Haaren, regendurchtränkter Pyjamahose und aufgeweichtem BH liegt sie da in der Gosse und heult voll laut rum: »Ich sterbe!«
»Warum?«
»Weil ich nicht mehr kann. Lass mich hier liegen!«
Ich muss nicht sagen, dass es mir gerade echt reicht. Ich bin schon wieder mittendrin in meiner alten Helfer-und-Retter-Rolle, von der ich doch per Therapie und Klinikaufenthalt befreit werden sollte. Die Therapeuten meinten sogar einhellig erkannt zu haben, dass ich meinem Alter entsprechend viel zu viel Verantwortung für die anderen Familienmitglieder trage. Und was ist jetzt? Anstatt meine Angelegenheiten klären zu können, helfe ich schon wieder Leuten, die ihr eigenes Leben mutwillig zerstören. Ich meine, Cotsch ist doch irgendwie selber schuld! Helmuth hätte sie ja nie verlassen, wenn sie sich mal am Riemen reißen könnte. Scheiße! Soll ich sie einfach liegen lassen? Wir müssen doch nur noch an zwei Häusern vorbei, dann sind wir zu Hause. Ich kann sie doch nicht hier im strömenden Regen verkommen lassen! Sie ist meine einzige Schwester!
Möglicherweise wachse ich ja auch an meinen Aufgaben. Wie Jesus! Der hat den Leuten immer gerne und viel geholfen. Sogar als sie ihm bereits die Dornenkrone aufgesetzt und tüchtig durchgeprügelt hatten, konnte er sein schweres Kreuz den Berg Golgotha in stiller Andacht hinauftragen, um ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Jesus ist echt mein Held. Weil auch ich von Gott gesandt bin, hieve ich meine gebeutelte Schwester also wieder hoch auf meinen Rücken, wie Jesus sein Kreuz. Da Cotsch ja sowieso nichts mehr zu merken scheint, schleife ich sie einfach über den gepflasterten Weg. Auf ihre nackten Füße muss sie selber achten.
Als wir es endlich die Stufen zu unserer Haustür hoch geschafft haben, ruft plötzlich eine mir bekannte Stimme meinen Namen: »Elsbeth!«
Leute, ich muss mich gar nicht umdrehen, um zu wissen, wer da nach mir verlangt. Richtig! Es ist mein unberechenbarer Freund Johannes, der offenbar plötzlich Panik gekriegt hat und endlich seinen Arsch in meine Richtung bewegt hat. Kurzerhand lehne ich meine Schwester gegen die Eingangstür und wende mich unauffällig zu ihm um. Meine Herren, das Wasser rauscht nur so vom Himmel, als sei dies die Sintflut. Ich zwinkere in die nasse Luft und hinter den endlosen Regenfällen taucht verschwommen eine Person mit gebeugtem Haupt und einem klapprigen Fahrrad auf.
Wieder höre ich die Stimme: »Elsbeth! Warte!«
Natürlich tue ich so, als hätte ich nichts gehört. Ich bleibe cool. Seelenruhig zücke ich den Hausschlüssel aus Cotschs Pseudo-Kroko-Handtasche, die ich mir elegant über die Schulter gehängt habe, und schließe entspannt die Tür auf. Am liebsten würde ich dazu noch ein Liedchen trällern, so sehr triumphiere ich innerlich. Und in diesem Augenblick fühle ich mich Helmuth näher als jedem anderen Menschen auf der Welt. Wir beide, Helmuth und ich, trotzen heute den untreuen Menschen dieser Erde und zeigen ihnen unseren Wert. So billig sind wir nicht zu haben. Und darum trage ich seinen Bademantel. Mir kommt das jetzt sehr logisch und konsequent vor.
»Elsbeth!«
Da ist sie wieder, die flehende Stimme! Ohne Reaktion zu zeigen, schleife ich die schlaffe Cotsch in unseren Korridor hinein und brülle den Flur runter: »Mama? Ich brauche deine Hilfe!«
»Was?«
Sofort kommt sie mit einem Stapel gebügelter Unterwäsche im Arm aus Cotschs Zimmer geschossen. Ich lasse die Kroko-Handtasche auf den Boden fallen und sage: »Hier, übernimm du mal. Deine Tochter braucht ein paar Pillen.«
»Was? Warum denn? Gab es Ärger?«
Meiner armen Mama ist schon wieder ordentlich der Stress ins Gesicht geschrieben. In Kürze wird der Stresspegel allerdings ins Unermessliche schießen, wenn sie erfährt, dass Helmuth sich unwiderruflich von ihrem Töchterchen getrennt hat. Zum Ersatz wird Johannes gleich durch die Eingangstür taumeln. Ich habe sie vorsichtshalber offen stehen lassen. Der soll ruhig reinkommen. Nicht, dass er am Ende noch zu schüchtern ist, um zu klingeln, und wieder abdampft. Der
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