Leute, mein Herz glueht
von früher, dass man sich in feuchten Kleidern eine Lungenentzündung holt. Bekanntlich trage ich noch immer Helmuths dreihundert Kilo schweren Bademantel.
Johannes folgt mir in meine Gemächer und macht tout de suite die Tür hinter sich zu, so als wollte er unbedingt verhindern, dass meine Eltern mitkriegen, dass er da ist. Das beweist, dass er ein echt schlechtes Gewissen hat. Wenn ihr mich fragt: Ich bewerte das absolut positiv. Verlegen ständert er am Fenster rum und befummelt mit seinen regennassen Händen meine ungebrannten Tonskulpturen. Das mag ich gar nicht. Der macht die nur kaputt. So nervös wie der gerade ist.
Ich sage also gleich: »Bitte nicht anfassen!«
Johannes legt sie schnell wieder hin, wobei er vor Schreck eine ruckartige Bewegung macht. Dabei rutscht eine meiner Lieblingsskulpturen aus seiner Hand und plumpst auf den Teppich. Selbstverständlich bricht bei einem Sturz aus solcher Höhe das eine Bein ab.
Augenblicklich hechte ich zur Unglücksstelle und erkläre: »Scheiße! Das war meine Lieblingsskulptur.«
Johannes hockt sich gleich neben mich auf den Boden und murmelt immer wieder: »Oh Mann, es tut mir leid. Es tut mir leid. Ich bin so ein Trottel.«
Ich nicke und sage mit einem tiefen Seufzer untermalt: »Ja, da hast du leider recht.«
Vorsichtig lege ich die Einzelteile zurück auf die Fensterbank, als seien sie archäologische Sensationsfunde aus dem Dinosaurierzeitalter. Ich bin stinksauer! Stinksauer! Der Einzige, der die Skulptur retten kann, ist Papa. Der hat Spezialkleber. Das werde ich Johannes aber nicht wissen lassen. Der soll sich einfach nur schämen. Ich öffne meinen Kleiderschrank und Mama hat schon all meine Klamotten fein säuberlich aus dem Koffer in die Fächer eingeräumt. Gleich kriege ich wieder einen Wutrausch, weil niemand an meine privaten Sachen gehen soll! Die Therapeuten in der Klinik meinen, ich müsse diesen Aspekt dringend mit meinen Eltern klären. Am besten, indem ich ihnen ganz ruhig zu verstehen gebe, dass sie nicht mehr ungefragt meine Intimsphäre verletzen sollen. Das leuchtet mir ein - vor allen Dingen müssen meine Eltern ja wegen ihrer permanenten Grenzüberschreitungen überhaupt die Therapie bezahlen. Diese Extraausgaben könnten sie einsparen, wenn sie nicht mehr ständig in meinen Privatgemächern rummachen würden. Leute, ich sage euch, das Leben ist nicht leicht.
Ich nehme mir eine frische Jeans und eine abgefahrene Bluse aus dem Schrank, die ich mir kurz vor den Sommerferien im Second-Hand-Shop gekauft habe. Ich sage zu Johannes: »Würde es dir etwas ausmachen, mich nicht so anzuglotzen?!«
»Entschuldige, ja. Klar.«
»Dann dreh dich um.«
Gehorsam dreht er sich in Richtung Fenster um und fragt mit einer gewissen Anspannung in der Stimme: »Was hast du da eigentlich für ein braunes, ekliges Teil an?«
»Das ist der Bademantel von Helmuth. Was dagegen?«
»Wieso trägst du Helmuths Bademantel? Hast du jetzt was mit Helmuth?«
»Schon möglich.«
Ohne dass ich es ihm erlaubt hätte, wendet sich Johannes wieder zu mir um und starrt mich ungläubig an. »Soll das ein Witz sein?«
»Nein, wieso?«
»Sag mal ehrlich! Hast du was mit Helmuth? Der ist doch schon mindestens hundert Jahre alt.«
»Na und? Der ist wenigstens zuverlässig und knutscht nicht mit meinen Freundinnen rum.«
»Lelle, bitte! Es tut mir leid. Ich habe mich so schrecklich einsam gefühlt. Ich meine, du warst drei Monate weg! Was sollte ich denn machen?«
»Ein bisschen Sehnsucht haben, zum Beispiel! Und dreh dich jetzt gefälligst wieder um! Oder willst du gleich nach Hause gehen?«
»Nein.«
Mein durchnässter Freund dreht sich mit unendlich traurigem Gesicht weg und ich ziehe mir meine frischen Kleider an. Unter uns: Mein Herz ist schon lange wieder weich. Aber da muss er jetzt leider durch. Sonst rafft er nicht, dass er mein Vertrauen missbraucht hat.
Als ich mit Umziehen fertig bin, sage ich: »Okay. Du kannst dich jetzt wieder umdrehen. Und um deine Frage zu beantworten: Du hättest schlicht und einfach auf mich warten können, bis ich wieder da bin, anstatt mit der dusseligen Alina rumzumachen. Die kennt sich nicht mal mit Kunst aus.«
Johannes nickt stumpfsinnig und glotzt weiter raus in den Regen, wie er in dicken Tropfen auf die orangefarbenen Blättchen des Rosenbusches prasselt. Dann seufzt er und meint mit niedergeschlagener Stimme: »Na ja. Ohne meine Schuld schmälern zu wollen, aber du hast ja auch nicht gewartet, bis Arthur aus
Weitere Kostenlose Bücher