Level 4 07 - 2049
so manche unangenehme Überraschung für sie bereithielt. Während sich das sprechende Waschbecken um Ben kümmerte, wagte sie es jetzt doch, mal vorsichtig nachzufragen, was denn ein Außen-Bürger sei.
Diesmal übernahm es Chip, eine kurze Erklärung abzugeben: In den vergangenen Jahrzehnten war es gelungen, sämtliche niedere Arbeiten durch Roboter erledigen zu lassen, erzählte Chip. Menschen wurden nur noch für höherwertige Aufgaben benötigt: Wartung, Programmierung, Entscheidungen fällen. Dazu war natürlich eine hohe Qualifikation Voraussetzung. Viele Menschen besaßen solche Qualifikationen, zumindest seit im Jahre 2025 die erste Weltregierung ein völlig neues, globales Bildungssystem eingeführt hatte, welches vor allem von den wichtigsten Schlüssel-Industrien finanziert wurde.
Leider gab es noch mehr Menschen, die da nicht mehr mitkamen, für die alles zu kompliziert und nicht mehr nachvollziehbar wurde. Weltweit waren 45 Prozentder erwachsenen Menschen ohne Arbeit. Viel zu spät hatten die Politiker erkannt, dass sämtliche Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen wirkungslos waren, denn kaum gab es neue Arbeitsplätze, gab es auch schon Roboter, die diese Arbeit übernahmen. Erst seit fünfzehn Jahren begriff man, dass nicht Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sondern die Förderung der Bildung die Arbeitslosigkeit besiegen könnte. Viel zu spät. Längst lebten Milliarden Menschen gewissermaßen außerhalb der Gesellschaft in den Außenbürger-Parks.
»Außenbürger-Parks!«, wiederholte Jennifer. Ein schmeichelhaftes Wort für Slums, fand sie. Und sie war sich sicher, dass es sich bei diesen Parks um nichts anderes als gewöhnliche Slums handeln würde. Jetzt war es in Deutschland also auch schon so weit wie damals in den USA.
Fertig!, jubelte das Waschbecken.
»Schon?«, wunderte sich Ben.
Es hatte keine fünf Minuten gedauert. Langsam drehte er sich zu seinen Freunden um, sah sie unsicher an. »Und?«, fragte er zaghaft.
Jennifer, Miriam, Frank und Thomas starrten ihn an – und schwiegen.
»Was ist?«, drängelte Ben. »Sagt doch was!«
Jennifer betrachtete ihren Freund, der plötzlich ganz anders aussah. Statt seiner lustig durcheinander gewirbelten, welligen braunen Haare, schimmerte ihr nun eine blau-orange karierte Glatze entgegen, in deren Mittelpunkt ein silberner Kreis blinkte und glitzerte, als hätte Ben einen kleinen See mitten auf dem Kopf!
»Na ja«, stammelte Jennifer. »Es … ist … zumindest …«
»Was?«, schrie Ben sie fast an.
»Originell!«, fiel Jennifer gerade noch ein. Sie spürte unendlich großes Mitleid mit ihm. Was hatte diese blöde Waschschüssel bloß mit Ben angestellt! Noch schlimmer aber war der Gedanke, dass sie selbst auch gleich so aussehen würde!
»Um nichts auf der Welt!«, schwor sich Miriam leise.
Nur Thomas fand die passenden Worte. »Ist doch echt schräg, Ben. Sieht cool aus. Ich gehe als Nächster.«
Bevor er sich bereitmachte, fragte Thomas aber noch schnell nach: »Das ist doch umsonst, oder?«
Die Anspannung ging über in ein befreiendes Lachen. Das war doch wieder typisch Thomas.
Die Waschschüssel machte sich an Thomas zu schaffen, und obwohl Miriam noch verzweifelt grübelte, wie sie diesen Albtraum von Frisur von sich abwenden konnte, nützte es nichts. Einer nach dem anderen kam dran, bis alle mit grellbunten, gestreiften und karierten, gepunkteten und gefleckten, glitzernden und glimmernden, blitzenden und schimmernden Vollglatzen versehen waren.
»Und wohin now?«, wandte sich Chip an Kosinus. »Zu uns is bad. Meine Mother bekommt gleich wieder ihr Crime-Syndrom, wenn Fremde kommen.«
»Dein Vater nicht?«, hakte Jennifer nach. Sie fand es blöd, wenn immer nur Frauen Angst nachgesagt wurde.
»Meine Mutter wurde künstlich befruchtet«, lauteteChips knappe Antwort, die Jennifer die Sprache verschlug.
Miriam zuckte mit den Schultern. »Pech!« Sie selbst hatte immer sturmfreie Bude, da ihre Eltern oft länger arbeiteten, was wiederum Chip nicht verstand.
Miriam erklärte, dass eben ihre beiden Elternteile berufstätig wären und deshalb immer erst spät nach Hause kämen.
Das allerdings hatte Chip wohl mitbekommen, nur verstand sie nicht, weshalb man nicht zu Hause war, bloß weil man arbeiten musste. Ihre Mutter jedenfalls arbeitete für eine Firma in Peking, deren Unternehmenssitz natürlich auch nur virtuell existierte, war acht Stunden am Tag per Standleitung mit ihrem Arbeitsteam über Großbildschirm verbunden,
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