Level 4 07 - 2049
eine holografische Werbung vor dem Eingang deutlich machte, was man im Jahre 2049 unter einem Formel- 1-Wagen verstand. Zu seiner Zeit hätte Ben das für eine Cruise-Missile-Rakete gehalten. In der ganzen Straße wimmelte und flimmerte es vor holografischen Animatonen, die über- und untereinander, kreuz und quer durch den Raum wirbelten. Ein neuer Aussteller hätte in der Luft überhaupt keinen Platz mehr gefunden für seine Werbung.
Die virtuellen Raketen-Wagen donnerten knapp an den Kindern vorbei und lösten sich dort auf, wo ein Dschungel begann, in dem wilde Fantasietiere von Roboter-Kampfmaschinen niedergestreckt wurden. Nebenan lud eine 25 Meter hohe Wasserrutsche zu einer Reise an die Erlebnisstrände von Südafrika ein, virtuell natürlich nur, während man in einem pyramidenähnlichen Gebäude zu einer Survival-Tour auf den Mount Everest aufgefordert wurde.
Man konnte wahlweise in Kriegen mitwirken und sich als Verdurstender durch die Sahara schleppen. Es war ebenso möglich, als Täter oder Opfer an einer Flugzeug-Entführung teilzuhaben wie auch einen Flugzum Mars zu unternehmen. Neu war, sich als Käfer durch eine Wiese zu bewegen, wo man dann natürlich mit entsprechend großen Insekten, Würmern und Vögeln zu kämpfen hatte, und natürlich konnte man auch jede Zeit der Vergangenheit virtuell durchstreifen: die Steinzeit, das Alte Rom wie auch das antike Griechenland, Hexenverbrennungen im Mittelalter oder die Zeit der Kreuzzüge, der Weltkriege I und II oder der Rassenunruhen in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts.
Und jeder einzelne Veranstalter warb dafür mit einer Holografie-Animation mitten auf dem Weg oder in der Luft!
Miriam sah, wie einige Schulklassen sich durch den Farben- und Bilderterror schlängelten, um einige bedeutende Ereignisse der Geschichte in einem der Vergnügungspaläste live zu erleben. Sie beobachtete, wie einige Schüler neugierig an einer Kreuzung stehen blieben, die zu der Adult-Area, also dem Erwachsenen-Bereich, führte. Herrje, dachte Miriam. Wenn Kriege und Schlachten, Gladiatorenkämpfe und Sklavenmisshandlung, Hexenverbrennungen und Kreuzzüge für die Kinder freigegeben waren, dann wollte sie nicht wissen, was es im Erwachsenen-Bereich zu sehen gab.
»Himmel, was machen wir hier?«, schrie Jennifer gegen den gewaltigen Lärm an. »Ich will hier weg, aber sofort!«
Thomas ärgerte sich, dass man nie etwas finden konnte. Immer war alles, was er entdeckte, nur virtuell. Es war unmöglich, etwas einzustecken. Deshalb gefiel es ihm da auch nicht.
»Hier wohnen doch keine Leute«, kam Ben auf die Behauptung zurück, sie befänden sich in einem Ghetto.
»Natürlich nicht!«, antwortete Kosinus. »Die Häuser sind hinter diesem Park. Aber jeder Arbeitslose darf einmal pro Woche hier alles gratis benutzen.«
Jennifer spuckte verächtlich aus. »Tolles Angebot! Wer macht denn solchen Mist freiwillig mit?«
»Alle, die zu viel Zeit haben«, erwiderte Chip. »Die Arbeitslosen haben den ganzen Tag Zeit und viele, die Arbeit haben, haben ja auch nur eine 1 8-Stunden -Woche. Im Jahre 2028 gab es die großen Freizeit-Unruhen, in denen ganze Städte ausgeplündert wurden und Straßenschlachten an der Tagesordnung waren. Einfach nur, weil die Leute zu viel Langeweile hatten. Sie kannten alles schon und wussten nichts mit sich anzufangen. Viele begannen freiwillig und unbezahlt wieder länger zu arbeiten, nur um dieser entsetzlichen Langeweile zu entgehen. Die meisten aber drehten einfach durch. Da wurde beschlossen, in jeder Stadt mit mehr als zwei Millionen Einwohnern solche Parks zu schaffen.«
»Welche Stadt hat schon mehr als zwei Millionen Einwohner?«, fragte Thomas und empfing wieder einen seltsamen Blick von Kosinus.
»Fast alle!«, antwortete dieser.
»Ein Spielplatz für Erwachsene!«, erkannte Jennifer. »Wer hätte je gedacht, dass so etwas mal notwendig werden würde?« Dann aber fiel ihr ein, dass viele Erwachsene auch zu ihrer Zeit schon nichts mit sich anzufangenwussten und sich ihre immer umfangreicher werdende freie Zeit von der Unterhaltungsindustrie organisieren ließen: Jahrmärkte und Städte-Geburtstage, Vergnügungsparks und Erlebnisbäder, Marathon-Läufe durch die Städte und Schützenfeste in den Dörfern, professionell organisierte Sauforgien von Oktoberfest bis Ballermann 6, Sechs-Tage-Rennen und Formel- 1-Zirkus ; ja letztendlich war jedes Bundesliga-Fußballspiel nichts anderes als ein Spielplatz für Erwachsene, inszeniert von einer
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