Level 6 - Unsterbliche Liebe
unschuldig?“
Jonathan schwieg so lange, dass ich schon fürchtete, er würde nicht antworten. „Ich glaube, dass er dieses Blutbad nicht begangen hat. Aber er ist trotzdem ein Mörder.“
Als ich seine Worte vernahm, verspannte ich mich unwillkürlich. „Der Roboter hat gemeint, dass Rogan seinen Zellengenossen getötet habe. So habe er sich die Narbe zugezogen. Doch es war Notwehr.“
„Das ist nicht der Mord, von dem ich spreche.“ Jonathans Miene wirkte düster. „Ich weiß, dass dir viel an ihm liegt. Deshalb ist es so wichtig, dir davon zu erzählen, bevor es zu spät ist.“
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht hören, was er nun sagen wollte.
„Du hast das Recht, es zu erfahren.“ Er zögerte, als müsste er sich innerlich darauf vorbereiten, um das Folgende auszusprechen. „Eines Nachts vor zwei Jahren, während Rogan sich in Behandlung befand, schlich er sich aus der Klinik. Er war auf Entzug und litt an einem schweren Kerometh-Rausch. Er fing an, in Häuser einzubrechen, um sich genug Geld zu besorgen, damit er Drogen kaufen konnte.Euer Haus war eines von denen, in die Rogan damals einstieg. Rogan ist derjenige, der deine Familie auf dem Gewissen hat.“
Die Stille, die dieser schockierenden Enthüllung folgte, war ohrenbetäubend.
„Was?“ Mein Herz hämmerte, und mein rasender Puls dröhnte mir in den Ohren.
„Er hat deinen Vater, deine Mutter und deine Schwester ermordet. Sie waren in der Nacht nicht die einzigen Opfer. Rogan hatte keine Ahnung, dass du in dieses schreckliche Ereignis involviert bist. Er hat dich erst bei eurer Begegnung zu Beginn von Level eins zum ersten Mal gesehen. Sein Verstand ist endlich frei von Drogen, nachdem er die letzten eineinhalb Jahre in einem gesicherten und bewachten Jugendgefängnis verbracht hat. Dennoch ändert das nichts an dem, was er gemacht hat.“
„ Was? “
Ich wollte es nicht wahrhaben, doch … es ergab Sinn. Es ergab einen furchtbaren Sinn. Keine Zufälle bei Countdown. Natürlich – deshalb hatten sie uns in ein Team gesteckt. Selbstverständlich. Sie hatten die ganze Zeit über gewusst, wer ich war. Wer er war.
Rogan, der Junge mit den wunderschönen blaugrünen Augen. Der Junge, den ich intuitiv für unschuldig gehalten hatte. Der Junge, an den zu glauben ich begonnen hatte – mit ganzem Herzen, selbst nach so kurzer Zeit.
Er hatte meine Familie getötet und mir alles genommen. Er hatte mir mein Leben gestohlen.
Er hätte mich auch umbringen sollen. Ich wünschte, er hätte es getan.
„Ich bin ein schlechter Mensch“, hatte Rogan mir erst von wenigen Minuten erklärt. „Wenn du die Wahrheit über mich kennen würdest, dann würdest du mich nicht mehr so ansehen. Du würdest mich hassen. Und du würdest mir ganz sicher nicht so nahe kommen wollen.“
Eine ganze Weile wiegte ich mich vor und zurück, die Knie an die Brust gezogen. Jonathan – der Mann, von dem meine empathischen Fähigkeiten mir gezeigt hatten, dass er aufrichtig war und sich wegen des Jobs, den er erledigen musste, schuldig fühlte – streichelte mir den Rücken und wischte mir sanft die Tränen fort.
„Es tut mir leid, Kira. Vielleicht hätte ich gar nichts sagen sollen. Doch ich habe bemerkt, dass er dir ans Herz gewachsen ist. Zu sehr. Früher hat er mir selbst sehr viel bedeutet. Ich war wie ein Onkel für ihn. Aber die Drogenabhängigkeit hat ihn verändert – sie hat ihn in ein Ungeheuer verwandelt. Du verdienst das alles nicht, und es tut mir leid. Ich kann dir nur erzählen, was ich dir schon mitgeteilt habe …“
Ich wartete darauf, dass er fortfuhr, doch er schwieg. „Was denn?“
Er räusperte sich, bevor er wieder sprach. Seine Miene war wie versteinert. „Nur einer von euch muss das Ende von Countdown erleben. Wenn Rogan beim nächsten Level stirbt, wird dir das nicht zur Last gelegt. Du wirst dann immer noch deine Fahrkarte in die Kolonie bekommen. Verstehst du, was ich dir damit sagen möchte?“
Ich starrte ihn nur an. „Ich denke schon.“
Er nickte und nahm ein kleines schwarzes Gerät aus seiner Tasche. Auf dem Touchscreen befand sich eine Reihe von roten und gelben Tasten. „Es freut mich, das zu hören.“
„Was ist das?“
Sein Gesichtsausdruck wirkte grimmig. „Nachdem ich jetzt festgestellt habe, dass du weit genug genesen bist, müssen wir mit dem nächsten Level weitermachen. Bist du bereit, Kira?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich brauche noch ein wenig Zeit. Nur ein bisschen
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