Level 6 - Unsterbliche Liebe
Kopf.
„Du vertraust mir nicht.“
Ich vertraute niemandem. „Trotz dieses kleinen intimen Gesprächs fällt mir kein Grund ein, warum ich das tun sollte.“
Er rollte seinen rechten Ärmel hoch und reichte mir seinen Unterarm. „Probier deine empathischen Fähigkeiten aus.“ Eindringlich musterte er mein Gesicht. „Dir ist bewusst , dass du irgendeine besondere Gabe hast, oder? Dir ist das schon eine ganze Weile klar, auch wenn es vorher nie bestätigt worden ist. Vielleicht hat es dir Angst gemacht. Vielleicht hat es dir wehgetan. Aber, bitte, teste es jetzt. Berühremich und schau, ob du einen Eindruck davon bekommen kannst, wer ich wirklich bin.“
Ich wollte weiterhin abstreiten, was er sagte, aber mir fehlten die Worte. Ich wartete eine ganze Weile, bevor ich beschloss, zu machen, was er verlangte. Zögerlich streckte ich die Hand aus, um ihn am Unterarm, knapp unter seinem Ellbogen, anzufassen. Ich drückte die Finger auf seine Haut.
„Schließ die Augen“, meinte er. „Und konzentriere dich. Lass deine Gedanken frei.“
Ich sollte meine Gedanken freilassen? Ich schloss die Augen und versuchte, alle anderen Gedanken beiseitezuschieben. Da mir im Moment der Kopf schwirrte, war das nicht ganz leicht.
Als ich mich endlich genug gesammelt hatte, damit ich mich ganz auf meine Aufgabe konzentrieren konnte, ließ ich dieser Fähigkeit in mir freien Lauf, dieser seltsamen Gabe, die ich schon seit drei Jahren kannte und die mich ängstigte. Ich öffnete mein Bewusstsein für Jonathan und ließ es geschehen …
Und da lag sein Geist wie ein dunkler See vor mir. Ich watete knöcheltief hinein.
Es war anders als zuvor. Dieses Mal versuchte ich es tatsächlich und geriet nicht nur aus Versehen in diese Situation. Es war echt und fand nicht nur in meiner Einbildung statt. Ich hatte nun den Beweis, auch wenn es nur Jonathan war, der es mir erzählt hatte. Ich hatte die Möglichkeit, es ein bisschen tiefer zu erkunden, als ich es normalerweise getan hätte.
Und ich wollte mich selbst auf die Probe stellen und herausfinden, zu was ich fähig und in der Lage war. Plötzlich erschien mir das sehr wichtig.
Ich sog scharf die Luft ein, sowie die Empfindungen mich durchströmten. Es war nichts Schlüssiges, nichts Zusammenhängendes und auch nichts, was ich hätte vollständig begreifen können. Es waren nur Emotionen, die kurz aufblitzten. Schnappschüsse von Emotionen.
Jonathan fühlte sich erschöpft. Er empfand Wut, Entschlossenheit. Aufrichtigkeit.
Und Schuld … wegen irgendetwas. Wegen allem.
Ich empfing ein Gefühl von Güte. Von Traurigkeit. Von Verzweiflung. Von Hoffnungslosigkeit. Er war ein Mann, der gezwungen worden war, Dinge zu machen, mit denen er nicht einverstanden war …
Unvermittelt fuhr ein stechender Schmerz durch meinen Kopf. Ich zog meine Hand weg und presste die Finger an meine Schläfen.
Höllenqualen!
Das war eine Empfindung, die ich wiedererkannte.
Im nächsten Moment wurde mir ein kalter Waschlappen auf die Stirn gedrückt. Langsam hob ich die Lider. Die fluoreszierenden Lichter über mir waren viel zu grell, und ich blinzelte. Jonathan hielt den nassen Waschlappen in der Hand. Mit großen Augen sah er mich an.
„Du hast etwas gespürt, oder?“, fragte er atemlos. „Ich habe dich in meinem Geist gespürt.“
Der Schmerz klang allmählich ab. „Hat es wehgetan?“
„Nein.“ Er runzelte die Stirn. „Obwohl es ein komisches Gefühl war. Ich wusste, dass du es schaffen würdest. Ich wusste es. Geht es dir gut?“
Ich schob seine Hand beiseite. „Gut genug.“
„Was hast du bei mir wahrgenommen? So viel, dass du mir nun traust und dir von mir helfen lässt? Hast du erkennen können, dass ich nicht beabsichtige, dich zu hereinzulegen?“
„So weit würde ich nicht gehen, doch ich habe genug gesehen.“ Wenn das, was ich gefühlt hatte, der Wahrheit entsprach, konnte ich mir nun sicher sein, dass es ihmkeinen besonders großen Spaß bereiten würde, mich oder Rogan in der Gameshow sterben zu sehen.
Schließlich zog ich die Decke zur Seite, die mein Bein verhüllte. Es war ein winziger Vertrauensbeweis, aber Jonathan schien sich darüber zu freuen. Er löste den Verband und untersuchte meine Verletzung.
„Sehr gut. Es ist so gut verheilt, wie ich gehofft hatte.“
Ich runzelte die Stirn und schaute an mir hinunter. Wo ich eigentlich eine frische Schusswunde erwartet hätte, war ein zartes, rosafarbenes Mal. Die Verletzung war schon fast verheilt. Sie tat nicht
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