Level X
sein, dass Anwälte stets nur die Wertvorstellungen ihrer K lienten widerspiegeln?
Aber verhalten sich so F r eunde? Ich dachte im m er, Freunde seien dazu da, einen zurechtzuweisen, wenn m an Unsinn redet, und nicht einfach nur dazusitzen, verständnisvoll zu nicken und Kalorien zu zählen. Ich hatte Harold m ehr Klasse zugetraut.
Und dann ist da noch Anne. W as soll ich über Anne sagen? W o beginnen? Die off e nsichtlichsten Untersc h ie d e habe ich bereits erwähnt: das Haar, die Kleider. Aber da ist a u ch no c h ihr Körp er . Es ist d er s elbe Körp e r, er wie g t dasselbe, und er hat dieselben Rundungen an denselben Stellen. Aber diese Anne hier i s t d urcht r ai n ie rt er. Nic h t, dass m eine Anne schlecht in Form gewesen wäre. Im Gegenteil! Aber m eine Anne ging nicht regel m äßig joggen, sie hatte keinen Ho m etrainer im Bad stehen, und sie ging erst recht nicht um sieben in der Frühe zum Workout ins Fitnesscenter. Diese Anne hier ähnelt, wenn ich es ein m a l so ausdrücken darf, m i r m ehr als ich.
All dies spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Unterschieden, die sich m i r nun täglich m ehr und m ehr offenbaren. Zum einen »sehe« ich sie seltener, als ich es gewohnt war. Das heißt, sie und Richard verbringen weniger Zeit m iteinander als Anne und ich. Sie hat einen vollen Terminkalender. Wenn sie nicht g era d e eine W o hlt ä tigkeitsveranstaltung für das Opernhaus organisiert, tut sie das m it Sicherheit für das Sy m phonieorchester, das Kunst m us eu m , irgendeine Klinik oder die Universität. Anne kümmert sich im großen Stil um das in Mode gekommene Geschäft m it der Wohltätigkeit. Obwohl sie es h e f tig a bstr e iten w ü rde, wägt sie, glaube ich, ihren Einsatz gegenüber dem zu erwartenden Profit genau ab. Das m acht sie zwar nicht besser oder schlechter als die m eisten Frauen, die in den Vorständen die s er K o m itees sitzen, aber i s t es n i cht furchtbar, so etwas über den Menschen sagen zu m üssen, den m an liebt?
O ja, ich liebe sie noch i m m er. Ich habe versucht, dagegen anzukä m p fen. Es wäre leichter, wenn ich sie nicht lieben würde. Immer wieder versuc h e ich m i r einzureden, dass sie nur eine rückgratlose Heuchlerin ist, die die Ka r rie r el e it e r z u erk l im m e n versucht, verheiratet m it ein e m e hrgeizigen Kriecher – und das ist genau die Stelle, an der m ein gerechter Zorn stets verfliegt. Denn die Schuld dafür, dass sie so geworden ist, m uss m an ganz klar bei ihm suchen. Bei ihm und – Leugnen ist zwecklos – bei m i r, da in ihm e t was von m i r und in m i r etwas von ihm steckt. Es blei b t m i r nic h ts an d eres ü b rig, als m einen Teil der Verantwortung dafür, was er aus ihr ge m acht hat, zu akzeptieren.
Viell e icht stellt sich die Frage, warum Anne, wenn sie m einer Meinung nach innerli c h noch im m er d i eselbe ist, nicht einfach rebelliert und sich weigert, die Rolle der gesellschaftlich aufstrebenden, braven Ehegattin zu spielen, wie er es von ihr erwartet? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht, und das stim m t m i ch nachdenklich. Sind das wirklich ihre Vorstellungen vom Leben? Hätte ich, wenn ich Richard wäre, dasselbe aus m einer Anne m achen können? Ich kann m i r das nur schwer vorstellen. Meine Anne hat – hatte – mehr Rückgrat. Meine Anne hätte diesen Ma n n nicht geheiratet. Sie hätte ihn aus g elac h t, ihn und seine hochfliegenden Pläne, und wäre ihrer eigenen Wege gegangen. Ist es m ö g lich, dass die beiden Annes sich ebenso sehr voneinander unterscheiden wie Rick und Richar d ?
W i e weit bin ich von zu Hause fort?
Ich m uss durchhalten! Ich darf nicht verzweifeln!
Am härtesten ist es für m i ch, wenn die beiden m iteinander schlafen. Sie sind nicht so gut, wie wir es waren, und das m acht es nur noch schlim m er. Sie haben ihre Routin e . Er weiß, was sie m ag, sie weiß, was er m ag. Sie re d en nicht darü b er, s i e fragen nic h t nach den Wünschen des anderen, wie wir es immer getan hatten. Sie haben guten Sex m iteinander, aber unserer war einfach großartig. Und auch wenn sie regel m äßig m iteinander schlafen, vier, fünf Mal die W oche, wir h aben es öft e r getan. Natürlich haben wir kei n e Stric h li s te ge f ührt, ab e r Sex gehörte einfach dazu, wenn wir zusam m en waren. Manch m al – und das ist das Allerschlim m s t e – hat Richard Fantasien. W ährend er m it ihr schläft, sind seine Gedanken nicht bei ihr, sondern
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