Level X
tue ich schon die ganze Zeit!«
Plötzlich kam ich m i r ganz klein und d ä m lich vor, wie ich da so vor ihm kniete und nicht wusste, was ich sagen sollte. Um die peinlic h e Pause zu überbrüc k e n , hielt ich Harold die F l asche h i n. Es sollte ein Friedensangebot sein.
Harold nahm die Flasche und schleuderte sie weit in die Nacht hinaus. Ich hörte sie nicht aufschlagen.
» W ir haben beide genug, glaube ich. Kom m , i ch bring dich ins Bett.«
»Yeah … Okay …«
Er half m i r auf die Füße. A l s ich es endlich geschafft hatte, kam e s m i r vor, als brauche er ebenso m eine Hilfe, um aufrecht zu stehen, wie ich die seine. Er sah m i ch an. Sein Gesicht war ganz nah an m eine m . » W ie zu m Teufel bist du auf so einen Gedank e n gekommen ? «, fragte er.
Sein Blick wanderte zwischen m e i nen Augen hin und her. Er versuchte, seinen Blick zu konzentrieren und m i r tief in die Augen zu sehen.
»Du würdest es m i r doch nicht glauben«, sagte ich.
»Dann lass uns die ganze Sache ve rgessen. S c hwamm drüber! Komm!«
W i r stolperten durch die Dunkelheit zu der hell erle u cht e t en Hütte.
Spät am n ä chsten Morgen weckte m i ch der Geruch von Kaffee und Schinken. Ich weiß nicht m ehr, wie ich dort hinka m , aber kurz darauf übergab ich m i ch durch das offene Fenster. W enig später, nachdem ich m i r kaltes Wasser über den Kopf gegossen und m i r den Mund ausgespült hatte, saß ich Harold an dem Tisch gegenüber, an dem wir schon am Abend zuvor gesessen hatten.
» W ie fühlst du dich ? «, fragte er. Er sah sel b st nic h t besonders gut aus.
» W ie ein rohes Ei in dünner Schale.«
»Es wird dir besser gehen, wenn du erst m al was gegessen hast.«
Er stellte einen Teller vor m i ch hin, aber m ein Blick blieb auf i h n geric h tet, auf der Suche nach … Ja, was? Un m ut? Zorn? Ich weiß es nicht.
»Harold«, begann ich. »Ich erinnere m i ch an alles, was gestern Abend geschehen ist. Und ich wollte dir sagen, dass es m i r Leid tut.«
» W i r habe n vereinbart , di e ganz e Sach e z u ve r gessen«, entgegnet e er , »als o sollte n wi r un s auc h dara n halten . Und jetz t is s dei n Frühstüc k a u f ! Wi r wolle n no c h fisch e n gehen.«
10
Im Nachhinein bin ich f else n fest davon überzeugt: Harold muss d a m als geahnt haben, dass mich m ehr belastete als nur der Sc h m erz über m einen tragischen Verl u st. Er m uss gespürt haben, dass wir uns aus irgendeinem Grunde zu entfre m den begannen, und so war er auf die Idee gekommen, unser W ochenende am See dazu zu benutzen, ein r e inige n des Gewitt e r zwischen u ns herbeizu f ühren.
Es hatte funktioniert, und i c h war ihm dankbar dafür. Ich glaubte ih m , dass er keine Affäre mit Anne gehabt hatte. Und d a m it hatte er m i r die Erinnerung an jene Anne zurückgegeben, die ich geliebt und der ich vertraut hatte – und die ich, m ehr als alles a n dere, auch weiterhin lieben wollte.
Außerdem st ellte ich fest, dass ich endlich nicht m ehr von dem Verlangen besessen war, über jenen gehei m nisvollen S ekundenbruchteil nach Annes Tod zu reden, der m ein Leben so ent s cheidend beeinflusst hatte. Ich glaubte noch im m er an das, w a s ich e rle b t hatte. Ich glaubte an die Realität des Geschehenen.
Doch was ist Realität?
Diese Frage spielte im Augenblick nur eine unterge o rd n ete Rolle. Was zä h lte, war das L eben selbst. Mein Leben, das m eines Sohnes. Metaphysische Spekulatio n en m ussten Allta g spr o ble m en weichen – e s galt zum Beispiel, ein neues Kinder m ädchen für Charlie zu finden, bevor Peggy uns verließ. Oder für die Finanzspritze zu sorgen, die m eine Fir m a so dringend benötigte.
Vor Annes Tod hatte ich fest m it der Unterstützung der Bank gerechnet, sodass ich m i r gar keine Gedanken über mögliche Alt e rnativen ge m acht hatte. Harold war sich sicher gewesen, dass ich den Kredit erhalten w ürde, und m eine eigenen Zweifel und Sorgen diesbezüglich waren nicht sehr groß gewesen. Hätte m an m i ch g e fragt, was i m Falle einer Absage der Bank passieren würde, hätte ich geantwortet, dass wir einfach so wie bisher weiter m achen. Aber so einfach liegen die Dinge lei d er selten.
Fir m en, so musste ich n un ler n en, erreic h en entweder ein bestim m t es unternehmerisches Niveau und gehen dort irgendwann zugrunde, oder s i e schaffen den Sprung auf die nächsthöhere Ebene. Ich hatte kurz vor diesem Sprung gestanden und bisher angenommen, ich
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