Leviathan - Die geheime Mission
Lärm.
Er kämpfte, um die Pistole loszureißen, also zog sie ihn fester an sich heran. Eis schnitt ihr die Wange auf, als sie sich tiefer in den Schnee wühlten.
»Lass mich los!«, rief er.
Deryn öffnete die Augen und starrte in seine. Einen Moment lang verharrte er – und sie sprach mit klarer Stimme: »Schieß nicht! Die Luft ist voller Wasserstoff!«
»Ich will doch gar nicht auf jemanden schießen! Ich will nur weg!«
Er wehrte sich wieder und rammte ihr die Pistole kräftig in die Rippen. Deryn grunzte. Sie packte die Waffe mit der Hand und versuchte, den Lauf zur Seite zu drücken.
Ein tiefes Knurren kam über den Schnee heran und ein Schnüffler reckte Alek die lange Schnauze ins Gesicht. Erneut erstarrte der Junge und wurde leichenblass. Plötzlich waren sie von den Tieren umringt, die dampfenden heißen Atem in die kalte Luft stießen.
»Kampf auf dem Eis.«
»Ist schon gut, Tierchen«, sagte Deryn ruhig. »Geht doch mal ein bisschen zurück, bitte? Ihr erschreckt ja unseren Freund und wir wollen doch nicht, dass er den brüllenden Abzug zieht.«
Der vorderste Schnüffler legte den Kopf schief und winselte leise. Deryn hörte Rufe: Flieger, die ihre Tiere zurückriefen. Grüne Schatten, von Wurmlampen erzeugt, fielen über sie.
Alek seufzte und seine Muskeln erschlafften.
»Lass die Pistole los«, sagte Deryn. »Bitte!«
»Ich kann nicht«, antwortete Alek. »Du quetschst meine Finger.«
»Oh.« Deryn stellte fest, dass ihre Hand immer noch seine hielt. »Also, wenn ich loslasse, schießt du doch nicht auf mich, oder?
»Stell nicht so dumme Fragen, Idiot«, sagte er. »Ich hätte längst geschossen, wenn ich gewollt hätte.«
»Du nennst mich Idiot? Du brüllender Dussel! Du hättest uns beinahe in die Luft gejagt! Weißt du denn nicht, wie Wasserstoff riecht?«
»Natürlich nicht«, entgegnete er und sah sie angewidert an. »Was für eine absurde Frage.«
Sie starrte ihn trotzig an, ließ jedoch los. Der Junge warf die Pistole zur Seite, erhob sich und sah erschöpft die Männer um sie herum an. Deryn kam ebenfalls auf die Beine und klopfte sich den Schnee von ihrer Fliegermontur.
»Was ist hier los?«, sagte jemand aus der Dunkelheit. Es war Mr Roland, der Obertakler.
Deryn salutierte. »Kadett Sharp meldet sich zum Rapport, Sir. Ich wurde beim Absturz bewusstlos, und als ich wieder zu mir kam, war dieser Junge da. Er hat mir diese Ranzen gegeben – voller Erste-Hilfe-Kram, glaube ich. Er wohnt irgendwo in der Nähe, will jedoch nicht verraten, wo. Ich wollte ihn festhalten, damit er verhört werden kann, aber da hat er eine Pistole gezogen, Sir!« Sie kniete, hob die Pistole auf und reichte sie stolz an Mr Roland weiter. »Allerdings konnte ich ihn entwaffnen.«
»Du hast mich überhaupt nicht entwaffnet«, murmelte Alek und wandte sich Mr Roland zu. Plötzlich war seine Nervosität verschwunden. »Ich verlange, dass Sie mich gehen lassen!«
»Ach ja?« Mr Roland warf Alek einen harten Blick zu und betrachtete dann die Pistole. »Die ist doch österreichisch, oder?«
Alek nickte. »Ich glaube doch.«
Deryn starrte ihn an. War er am Ende doch ein Mechanist?
»Und woher haben Sie die?«, fragte Mr Roland.
Alek seufzte und verschränkte die Arme. »Aus Österreich. Sie sind wirklich lustig. Ich bin nur hergekommen, um Ihnen Hilfe zu bringen, und Sie behandeln mich wie einen Feind .«
Das letzte Wort schrie er und einer der Schnüffler bellte. Alek zuckte zusammen und sah das Tier erschrocken an.
Mr Roland kicherte. »Na, wenn Sie nur helfen wollen, haben Sie von uns wohl nichts zu befürchten. Kommen
Sie mit, junger Mann. Wir gehen der Sache auf den Grund.«
»Was ist mit mir, Sir?«, fragte Deryn. »Schließlich habe ich ihn gefangen genommen!«
Mr Roland schenkte ihr diesen Blick, den alle Offiziere extra für die Kadetten parat hielten, diesen Ausdruck, als würden sie etwas an der Sohle ihrer Schuhe betrachten. »Na, warum bringen Sie die Taschen nicht zu den Eierköpfen? Vielleicht könnten die den Kram gebrauchen.«
Deryn öffnete den Mund und wollte protestieren, aber beim Wort »Eierkopf« erinnerte sie sich an Dr. Barlow. Kurz vor dem Absturz war sie in Richtung Maschinenraum gegangen. Das war nun bei all den Werkzeugen und losen Teilen kein guter Ort, um darin durchgerüttelt zu werden.
»Aye, Sir!«, sagte Deryn und eilte zurück zum Schiff.
Mit einer knappen Entschuldigung an das halb erschlaffte Flugtier packte sie eine Webeleine und zog sich nach oben.
Weitere Kostenlose Bücher