Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
Füße tappten auf dem Betonboden, der Atem ging stoßweise und abgerissen.
Dann hörte er nur noch die Schüsse. Er wusste nicht, ob Millers Plan funktioniert hatte, er konnte nicht sagen, woher die Kugeln geflogen kamen. Es war ohrenbetäubend und begann sofort, kaum dass sie den Quergang erreicht hatten. Drei Meter vor der anderen Seite senkte er den Kopf und sprang. In der niedrigen Schwerkraft von Eros schien er zu fliegen und hatte schon fast die andere Seite erreicht, als eine Salve über den Rippen die Rüstung traf und ihn gegen die Tunnelwand schleuderte, dass es in der Wirbelsäule knackte. Er schleppte sich weiter, während die Kugeln seine Beine trafen. Eine durchschlug den Wadenmuskel.
Miller stolperte über ihn, flog ein paar Schritte weiter und brach zusammen. Holden kroch neben ihn.
»Leben Sie noch?«
Miller nickte. »Angeschossen, der Arm ist gebrochen. Weiter«, keuchte er.
Holden rappelte sich auf. Das linke Bein fühlte sich an, als stünde es in Flammen. Der Wadenmuskel krampfte sich um die klaffende Wunde zusammen. Er zog Miller hoch und stützte sich auf ihn, als sie zum Aufzug humpelten. Millers linker Arm baumelte schlaff herab, das Blut tropfte von der Hand hinab.
Holden drückte auf den Rufknopf. Während sie warteten, stützten er und Miller sich gegenseitig. Wieder summte er leise die Titelmelodie von Misko und Marisko . Nach ein paar Sekunden stimmte Miller ein.
Holden drückte auf den Knopf der Andockbucht, in der die Rosinante lag, und wartete, dass der Aufzug vor der grauen Luftschleuse halten würde, hinter der kein Schiff lag. Das wäre der Zeitpunkt, an dem er sich endlich niederlegen und sterben konnte. Auf diesen Augenblick freute er sich, denn dann hätte die Mühsal ein Ende. Dieser Gedanke verschaffte ihm eine Erleichterung, über die er gestaunt hätte, wenn er dazu noch in der Lage gewesen wäre. Miller ließ ihn los und rutschte an der Wand der Aufzugkabine hinab. Er hinterließ eine blutige Spur auf dem glänzenden Metall und lag wie ein Häuflein Elend auf dem Boden. Die Augen hatte er geschlossen. Fast wirkte er, als schliefe er. Holden konnte jedoch beobachten, wie sich der Brustkorb des Detective unregelmäßig hob und senkte, während er unter Schmerzen atmete. Die Atemzüge wurden zusehends schwächer.
Holden beneidete ihn, doch er musste die geschlossene Luftschleuse sehen, ehe er sich ebenfalls niederlegen konnte. Allmählich wurde er wütend, weil der Aufzug so lange brauchte.
Schließlich hielt er an, und die Türen glitten mit einem fröhlichen Glockenklang auf.
Amos stand auf der anderen Seite, in jeder Hand ein Sturmgewehr und zwei Gürtel mit Reservemagazinen über die Schultern geschlungen. Er starrte Holden von oben bis unten an, dann warf er einen Blick zu Miller.
»Jesus, Käpt’n, Sie sehen vielleicht beschissen aus.«
32 Miller
Zögernd und erst nach mehreren Fehlstarts kam Millers Bewusstsein wieder in Gang. Im Traum setzte er ein Puzzle zusammen, dessen Teile sich ständig veränderten. Jedes Mal, wenn er fast schon das Bild erkennen konnte, begann der Traum wieder von vorne. Zunächst wurden ihm die Schmerzen im Kreuz bewusst, dann die schweren Arme und Beine, dann die Übelkeit. Je näher er dem Wachzustand kam, desto länger wollte er das Erlebnis hinausschieben. Eingebildete Finger wollten ihm helfen, das Puzzle zu vollenden, doch bevor es gelang, öffneten sich die Augen.
Er konnte den Kopf nicht bewegen, weil irgendetwas den Hals blockierte. Ein Bündel dicker Schläuche, die aus ihm herauskamen und jenseits seines Blickfelds verschwanden. Er wollte die Arme heben und das aufdringliche, vampirartige Ding vertreiben, doch er war zu schwach.
Jetzt hat es mich erwischt, dachte er. Ich bin infiziert.
Die Frau erschien von links. Er war überrascht, dass es nicht Julie war. Dunkelbraune Haut, dunkle und leicht schräg stehende Augen. Sie lächelte ihn an. Schwarzes Haar, das seitlich neben dem Gesicht herabhing.
Herab. Es gab ein Unten . Es gab Schwerkraft. Sie flogen mit Schub. Das schien sehr wichtig zu sein, nur den Grund wusste er nicht.
»Hallo, Detective«, sagte Naomi. »Willkommen unter den Lebenden.«
Wo bin ich?, wollte er sagen. Die Kehle war blockiert. Überfüllt wie die Röhrenbahn zur Hauptverkehrszeit.
»Stehen Sie nicht auf und reden Sie nicht«, ermahnte sie ihn. »Sie waren sechsunddreißig Stunden weggetreten. Das Gute ist, dass wir eine Krankenstation mit einem militärischen Expertensystem und Vorräte
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