Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
für fünfzehn marsianische Soldaten haben. Für Sie und den Kapitän haben wir vermutlich die Hälfte davon verbraucht.«
Der Kapitän. Holden. Ja, genau. Sie hatten gekämpft. Ein Korridor und eine Schießerei, jemandem war übel gewesen. Er konnte sich an eine Frau erinnern, bedeckt mit braunem Erbrochenen und mit leeren Augen. Er wusste allerdings nicht, ob dies ein Teil eines Albtraums war.
Naomi redete weiter: irgendetwas über Plasma-Infusionen und Zellschäden. Er wollte eine Hand heben und sie berühren, doch ein Gurt hinderte ihn daran. Die Schmerzen im Rücken kamen von den Nieren. Er fragte sich, was da eigentlich aus dem Blut herausgefiltert wurde. Miller schloss die Augen und war schon wieder eingeschlafen, ehe er sich bewusst entschieden hatte, sich weiter auszuruhen.
Dieses Mal quälten ihn keine Träume. Er kam wieder zu sich, als sich irgendetwas in seiner Kehle veränderte, als etwas am Kehlkopf zerrte und sich zurückzog. Ohne die Augen zu öffnen, drehte er sich zur Seite, hustete, übergab sich und rollte sich zurück.
Als er erwachte, atmete er aus eigener Kraft. Die Kehle war wund und tat weh, doch die Hände waren nicht mehr gefesselt. Drainageschläuche kamen aus dem Bauch und der Seite heraus, im Penis steckte ein Katheter in der Größe eines Bleistifts. Große Schmerzen hatte er nicht mehr, also musste er annehmen, dass er so ziemlich alle Schmerzmittel im Kreislauf hatte, die es überhaupt gab. Die Kleidung war weg, der Sittsamkeit dienten allein ein dünnes Hemd aus Papier und die Schiene, die den linken Arm eisern festhielt. Irgendjemand hatte seinen Hut auf das nächste Bett gelegt.
Die Krankenstation, soweit er sie jetzt sehen konnte, wirkte auf ihn eher so wie das, was man in Videoserien zu sehen bekam. Kein richtiges Krankenhaus, sondern das mattschwarze, silberne Idealbild einer Klinik. Die Monitore schwebten an komplizierten Auslegern in der Luft und überwachten den Blutdruck, die Konzentration an Nukleinsäure, den Sauerstoff und den Flüssigkeitshaushalt. Zwei verschiedene Zähler maßen die verbleibende Zeit bis zur nächsten Gabe von Autophagica oder von Schmerzmitteln. Gegenüber befand sich eine weitere Behandlungseinheit. Holdens Daten ähnelten den seinen sehr.
Holden sah aus wie ein Gespenst. Die Haut war bleich, die Augäpfel gerötet, weil Hunderte kleiner Blutgefäße geplatzt waren. Von den Steroiden war sein Gesicht aufgedunsen.
»Hallo«, sagte Miller.
Holden hob eine Hand und winkte leicht.
»Wir haben es geschafft.« Millers Stimme klang, als hätte man ihn gerade an den Füßen durch einen Tunnel geschleift.
»Ja«, bestätigte Holden.
»Das war hässlich.«
»Ja.«
Miller nickte. Der kurze Wortwechsel hatte ihn völlig erschöpft. Er ließ sich aufs Kissen sinken und schlief nicht ein, sondern verlor das Bewusstsein. Kurz bevor es schwarz um ihn wurde, lächelte er. Ja, er hatte es geschafft, er war auf Holdens Schiff. Und sie würden herausfinden, was Julie ihnen hinterlassen hatte.
Stimmen weckten ihn.
»Vielleicht sollten Sie es dann bleibenlassen.«
Es war die Frau, Naomi. Halb verfluchte er sie, weil sie ihn gestört hatte, doch ihre Stimme klang aufgeregt – Angst oder Zorn waren es nicht, aber auf jeden Fall war es interessant. Er rührte sich nicht und kämpfte sich nicht einmal ganz und gar ins Bewusstsein zurück. Er lauschte.
»Ich muss«, erwiderte Holden. Es klang, als habe er Schleim in den Bronchien und müsste gleich husten. »Was auf Eros passiert ist … das hat vieles verändert. Ich habe etwas zurückgehalten.«
»Käpt’n …«
»Nein, hören Sie zu. Als ich da drin steckte und dachte, mir bliebe nur noch eine halbe Stunde Geklimper der gezinkten Pachinkospiele und dann der Tod … als es so weit war, wusste ich, wo mein Bedauern wirklich lag. Verstehen Sie das? Ich dachte an all die Dinge, die ich gern getan hätte, zu denen ich aber nie den Mut gefunden habe. Jetzt weiß ich es und kann es nicht länger ignorieren. Ich kann nicht mehr so tun, als wäre es nicht da.«
»Käpt’n.« Ihre Stimme klang sogar noch aufgeregter als gerade eben.
Sag es nicht, du armer Trottel, dachte Miller.
»Ich habe mich in Sie verliebt, Naomi«, sagte Holden.
Die Pause dauerte nicht länger als einen Herzschlag.
»Nein, Sir«, antwortete sie. »Haben Sie nicht.«
»Doch. Ich weiß, was Sie denken. Ich habe ein traumatisches Erlebnis hinter mir und bemühe mich jetzt, ins Leben zurückzukehren, Kontakt zu anderen Menschen
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