Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
und vor allem unendlich müde. Miller kannte Soldaten, die so waren wie er, aber keine Kriminellen.
»Noch eins«, sagte Miller. »Ich suche jemanden.«
»Eine andere Ermittlung?«
»Eigentlich nicht, nein. Juliette Andromeda Mao, sie nennt sich meist Julie.«
»Sollte ich den Namen kennen?«
»Sie ist bei der AAP«, sagte Miller achselzuckend.
»Kennen Sie jeden bei Star Helix?«, antwortete der Mann. Als Miller nicht reagierte, fügte er hinzu: »Wir sind erheblich größer als Ihre Firma.«
»Das ist wahr«, stimmte Miller zu. »Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich umhören könnten.«
»Ich glaube nicht, dass Sie in einer Position sind, mich um einen Gefallen zu bitten.«
»Es kann ja nicht schaden zu fragen.«
Der Pockennarbige kicherte und legte Miller eine Hand auf die Schulter.
»Kommen Sie nicht wieder hierher, Detective.« Er entfernte sich und verschwand in der Menge.
Miller trank noch einen Schluck Bier und dachte mit gerunzelter Stirn nach. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, einen Fehler begangen zu haben. Er war sicher gewesen, dass die AAP auf Ceres aktiv wurde und Kapital aus der Vernichtung des Wassertransporters, aus der zunehmenden Angst im Gürtel und aus dem Hass auf die inneren Planeten schlagen wollte. Aber wie passte das mit Julie Maos Vater und dessen ausgerechnet jetzt zunehmender Sorge zusammen? Oder mit dem Abtauchen der üblichen Besatzung an Gaunern auf der Ceres-Station? Wenn er darüber nachdachte, kam er sich vor wie in einem unscharf aufgenommenen Video. Fast konnte er ahnen, was die Bilder zeigten, aber eben nur fast.
»Zu viele Punkte, nicht genug Linien«, sagte er.
»Wie bitte?«, fragte der Barkeeper.
»Nichts.« Miller schob die halb geleerte Flasche über die Theke. »Danke.«
In seinem Wohnloch ließ Miller Musik laufen. Die lyrischen Sprechgesänge, die Candace so gemocht hatte, als sie noch jung gewesen waren. Wenn schon nicht hoffnungsvoll, so doch wenigstens etwas fröhlicher in ihrem gemeinsamen Fatalismus. Er dämpfte das Licht und hoffte, er könne sich entspannen und wenigstens für ein paar Minuten das bohrende Gefühl vergessen, er habe ein wichtiges Detail übersehen. Vielleicht ergab es sich von selbst, wenn er sich entspannte.
Halb rechnete er damit, dass Candace vor seinem inneren Auge erschien und ihn seufzend und gereizt anblickte, wie sie es so oft im Leben getan hatte. Stattdessen redete er im Geiste mit Julie Mao. Im Halbschlaf, benommen von Alkohol und Erschöpfung, stellte er sich vor, wie sie an Havelocks Schreibtisch saß. Das Alter stimmte nicht, sie wirkte jünger, als sie tatsächlich war. Etwa im Alter des lächelnden Mädchens auf dem Foto. Das Mädchen, das mit der Razorback Rennen gewonnen hatte. Er stellte sich vor, wie er ihr Fragen stellte und wie ihre Antworten ihm etwas verdeutlichten. Alles passte zusammen. Nicht nur die Veränderungen in der Golden Bough Society und ihr eigener Entführungsfall, auch Havelocks Versetzung, der zerstörte Eisfrachter, Millers eigenes Leben und seine Arbeit. Er träumte, wie Julie Mao lachte, und wachte mit Kopfschmerzen viel zu spät auf.
Havelock erwartete ihn am Schreibtisch. Das gedrungene breite Erdergesicht kam ihm seltsam fremd vor. Miller schüttelte den Gedanken ab.
»Du siehst beschissen aus«, begrüßte Havelock ihn. »Hast du die ganze Nacht gearbeitet?«
»Ich werde alt und trinke billiges Bier«, entgegnete Miller.
Eine Mitarbeiterin der Sitte stieß einen wütenden Ruf aus, weil ihre Dateien schon wieder gesperrt waren, worauf ein Computertechniker wie eine nervöse Küchenschabe durch die Wache huschte. Havelock beugte sich mit ernster Miene vor.
»Ehrlich, Miller, wir sind ja immer noch Partner, und … bei Gott, ich glaube, du könntest der einzige Freund sein, den ich hier auf dem Felsen habe. Du kannst mir vertrauen. Wenn du etwas loswerden willst, ich höre zu.«
»Danke«, sagte Miller. »Aber das ist nicht nötig. Der gestrige Abend war ein Reinfall.«
»Keine AAP?«
»Natürlich sind sie da. Wenn du auf dieser Station eine tote Katze wirfst, triffst du drei Leute von der AAP. Aber nützliche Informationen habe ich nicht bekommen.«
Havelock lehnte sich zurück und presste die Lippen zusammen, bis das Blut aus ihnen wich. Miller stellte ihm achselzuckend eine wortlose Frage, der Erder nickte in die Richtung der Wandtafel. Oben auf der Liste stand ein neuer Mord. Um drei Uhr am Morgen, während Miller im Traum zusammenhanglose Gespräche geführt
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