Lewis, CS - Narnia 2
betrachtete, sah er, wie Schneelasten lautlos von ihm herunterglitten.
Ach, zum erstenmal, seitdem er Narnia betreten hatte, sah er das dunkle Grün einer Tanne. Aber er konnte nicht länger schaun und lauschen, denn die Hexe rief: »Starr Er nicht so vor sich hin, Dummkopf, steige Er aus und helfe Er ziehn!« Edmund mußte gehorchen. So kletterte er in den Schnee hinaus, der wirklich nur noch Matsch war. Er half dem Zwerg, den Schlitten aus dem Schlamm herauszuziehn, in dem er feststeckte. Endlich wurde der Schlitten wieder flott, und mit furchtbarer Grausamkeit trieb der Zwerg die Rentiere derart an, daß es wieder ein Stück weiterging, aber bald war kaum noch Schnee vorhanden, überall tauchten Grasflächen auf. Man kann sich vorstellen, wie tief beeindruckt Edmund war, als er nach so viel Schnee endlich frische Rasenflächen sah.
Da stak der Schlitten wieder fest.
»Es geht nicht, Majestät«, klagte der Zwerg. »Bei solchem Tauwetter können wir unmöglich Schlitten fahren.«
»Dann müssen wir eben zu Fuß gehn«, erwiderte die Hexe.
»Zu Fuß werden wir sie niemals erreichen«, knurrte der Zwerg. »Bei dem Vorsprung, den sie haben.«
»Ich habe dich nicht um Rat gefragt«, sagte die Hexe.
»Tu, was ich dir befehle! Zerschneide das Gespann der Rentiere, und laß sie laufen! Sie werden ihren Heimweg allein finden. Dann binde dem Menschengeschöpf die Hände auf dem Rücken mit dem Seil zusammen, nimm das Ende in die Hand und benutze deine Peitsche!«
Der Zwerg gehorchte. Er stieß Edmund aus dem Schlitten, und nun mußte der Junge mit zusammengebundenen Händen laufen, so schnell er nur konnte. Er versank in Schlamm und Matsch, und jedesmal wenn er ausrutschte, fluchte der Zwerg und ließ ihn die Peitsche fühlen.
Die Hexe ging hinter dem Zwerg und rief unablässig: »Schneller, schneller!«
Der Schnee schwand immer rascher dahin, das Gras wurde dichter, es breitete sich aus, und die Bäume hatten alle weißen Schneehüllen abgeschüttelt. Wohin man blickte, überall war dunkles Tannengrün zu sehn, stachlige Zweige, vom Schnee befreite Eichen, Buchen und Ulmen. Dann verwandelte sich der weiße Nebel in Gold, und gleich darauf klärte es sich auf. Sonnenstrahlen glitten über den Waldboden, und durch die Baumkronen war schon ein Stück blauer Himmel sichtbar. Bald vollzogen sich weitere Wunder. Sie kamen zu einer Gruppe Silberbirken, und Edmund sah den Boden ringsum mit kleinen, gelben Sternblumen besät. Der Lärm der rauschenden Wasser wurde stärker, jetzt überquerten sie einen schäumenden Bach, Schneeglöckchen wuchsen jenseits des Ufers.
Als Edmund den Kopf drehte, um sie näher zu besehn, zog der Zwerg den Strick heimtückisch an und rief: »Kümmere dich um dich selbst!« Doch das hinderte Edmund nicht, sich umzuschaun. Wenige Minuten später gewahrte er Krokusse. Sie blühten goldgelb, lila und weiß um einen alten Baum. Dann erklang ein noch süßerer Laut. Ein Vogel trillerte auf einem Baum neben ihrem Pfad. Aus der Ferne antwortete von allen Seiten ein Piepsen, Pfeifen, Zwitschern und Trillern. Der eine Ruf war nur der Auftakt zu einem vielstimmigen Singsang gewesen. Der ganze Wald war davon erfüllt, und wohin Edmund seine Augen auch richtete, auf allen Ästen saßen Vögel, flogen über ihn dahin, jagten einander, stritten ein wenig, putzten ihr Gefieder oder schnäbelten miteinander.
»Schneller, schneller!« schrie die Hexe.
Keine Spur vom Nebel war mehr vorhanden. Der Himmel wurde blauer und blauer. Dann und wann zogen weiße Wolken darüber hin, und in den Wiesen blühten die Primeln.
Eine leichte Brise erhob sich und schüttelte Tropfen von den schwankenden Zweigen auf die erhitzten Gesichter der Wandernden.
Die Bäume waren zu vollem Leben erwacht, die Birken und Lärchen mit Grün bedeckt, der Goldregen trug seine gelben Dolden. Eine Biene summte vor ihnen und flog quer über ihren Pfad.
»Das ist kein Tauwetter mehr!« rief der Zwerg plötzlich und blieb stehn. »Das ist der Frühling. Was sollen wir nun machen? Mit Euerm Winter ist es aus. Ich sage Euch, das ist Aslans Werk! Das hat er getan.«
»Wer von euch noch einmal diesen Namen erwähnt, soll sofort sterben!« schrie die Hexe.
PETERS ERSTER KAMPF
Während der Zwerg und die Hexe so sprachen, gingen der Biber und die Kinder fern von ihnen Stunden um Stunden wie in einem schönen Traum dahin. Schon lange hatten sie ihre Mäntel abgelegt. Soeben blieben sie stehn und riefen sich gegenseitig zu: »Seht, ein
Weitere Kostenlose Bücher