Lewis CS - Narnia 4
leben sollte, würde er mich zweifellos verachten und einen Verräter nennen. Und doch haben wir in all diesen Jahren unser eigenes Volk und all die anderen glücklichen Geschöpfe von Narnia sowenig wie die lang verlorenen Tage der Freiheit jemals vergessen.« »Das ist - das tut mir so leid, Herr Doktor«, stammelte Kaspian. »Aber, nicht wahr, Sie wissen doch, es ist nicht meine Schuld!« »Ich sage dies alles nicht, um Euch zu tadeln, teurer Prinz«, antwortete der Doktor. »Ihr mögt wohl fragen, warum ich es überhaupt sage. Aus zwei Gründen. Mein altes Herz hat diese geheimen Erinnerungen so lange bei sich bewahrt, daß es jetzt schmerzt und brechen würde, wenn ich sie Euch nicht zuflüstern könnte. Zum anderen: Vielleicht könnt Ihr, wenn Ihr einmal König werdet, uns helfen. Ich weiß, Ihr liebt alles, was mit der alten Zeit zusammenhängt, obwohl Ihr ein Telmarer seid.« »Das tue ich wahrhaftig«, beteuerte Kaspian. »Aber wie kann ich helfen?«
»Ihr könnt zu den armseligen Überbleibseln der Zwerge, wie ich einer bin, freundlich sein. Ihr könnt geübte Zauberer suchen lassen, um einen Weg zu finden, die Bäume wieder zu erwecken. Ihr könnt alle versteckten Winkel und unwegsamen Plätze des Landes durchsuchen lassen, um zu erforschen, ob dort noch Faune, Sprechende Tiere oder Zwerge im Verborgenen leben.« »Ob es wohl noch welche gibt?« fragte Kaspian eifrig. »Das weiß ich nicht - das weiß ich wirklich nicht«, seufzte der Doktor tief. »Manchmal fürchte ich, daß sie ausgestorben sind. Mein Leben lang habe ich vergeblich nach Spuren gesucht. Manchmal glaubte ich, die Zwergentrommel in den Bergen zu hören. Manchmal glaubte ich, nachts in den Wäldern einen Blick auf die in weiter Ferne tanzenden Faune und Satyre zu erhaschen. Oft bin ich verzweifelt, aber irgend etwas flößt mir immer wieder Hoffnung ein. Ich weiß nicht, was es ist. Aber wenigstens könnt Ihr versuchen, ein solcher Herrscher wie König Peter der Prächtige in den alten Zeiten - und nicht wie Euer Onkel - zu werden.«
»Dann ist das von den Königen und Königinnen und von der Weißen Hexe also wahr?«
»Gewißlich ist das wahr«, antwortete Cornelius. »Die Herrschaft jener Könige war das Goldene Zeitalter von Narnia, und das Land hat sie niemals vergessen.« »Lebten sie in diesem Schloß, Herr Doktor?« »Nein, mein teurer Prinz«, antwortete der alte Mann. »Dieses Schloß ist nicht sehr alt. Euer Ururgroßvater erbaute es. Die beiden Adamssöhne und die beiden Evastöchter lebten in dem Schloß Feeneden, als sie von Aslan zu Königen und Königinnen von Narnia gemacht waren. Kein lebender Mensch hat je jenen gesegneten Platz gesehen, und vielleicht sind jetzt sogar seine Ruinen dahingeschwunden. Man nimmt an, das Schloß hat weit von hier entfernt, an der Mündung des Großen Flusses in das Meer, gelegen.« »Oje«, bemerkte Kaspian schaudernd. »Meinen Sie in den schwarzen Wäldern? Wo alle die, die - nun Sie wissen ja -, die Geister leben?«
»Eure Hoheit spricht, wie man es Euch gelehrt hat«, antwortete der Lektor. »Aber das sind alles Lügen. Es gibt dort keine Geister. Das ist eine von den Telmarern erfundene Geschichte. Eure Könige haben eine Todesangst vor dem Meer, weil sie nicht vergessen können, daß in allen Erzählungen Aslan immer über das Meer kommt. Sie mögen also weder selbst ans Wasser gehen, noch wollen sie dulden, daß andere sich dorthin begeben. Um ihr Volk von der Küste abzuschneiden, haben sie große Waldungen anlegen lassen. Da sie aber mit den Bäumen in Feindschaft leben, haben sie nun auch Angst vor den Wäldern, und weil sie sich vor den Wäldern fürchten, nehmen sie an, diese seien voll von Geistern. Teilweise glauben die Könige und die leitenden Männer, die das Meer wie auch den Wald hassen, selbst an diese Märchen; jedenfalls aber sorgen sie dafür, daß sie verbreitet werden. Sie fühlen sich sicherer, wenn kein Mensch aus Narnia sich der Küste nähert und über das Meer blickt - gen Aslans Land und nach Osten.« Für einige Minuten herrschte am Turm tiefes Schweigen zwischen ihnen.
Dann sagte Doktor Cornelius: »Kommt! Wir sind lange genug hier oben gewesen. Es ist Zeit, hinabzusteigen und ins Bett zu gehen.«
»Muß das sein?« fragte Kaspian. »Ich möchte immerfort von diesen Dingen hören und reden.«
»Tun wir das, so kommt vielleicht jemand auf den Gedanken, nach uns zu suchen«, meinte Doktor Cornelius.
Kaspians Abenteuer in den Bergen
Nach diesem Ereignis hatten
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