Lewis, CS - Narnia 5
Lauschen war, Aslan. War das nicht Zauberei?«
»Wenn man anderen Leuten durch Zauberei nachspioniert, ist das genauso, wie wenn man ihnen sonstwie nachspioniert. Und du hast deine Freundin falsch eingeschätzt. Sie ist schwach, aber sie liebt dich. Sie hatte Angst vor dem älteren Mädchen und hat deshalb etwas gesagt, was gar nicht stimmt.«
»Ich glaube nicht, daß ich jemals vergessen werde, was sie über mich gesagt hat.«
»Nein, das wirst du nicht.«
»O je«, sagte Lucy. »Habe ich jetzt alles verdorben? Meinst du, wir wären weiterhin Freundinnen geblieben, wenn das nicht passiert wäre–wirklich gute Freundinnen, vielleicht fürs ganze Leben–, und daß es jetzt nicht mehr möglich ist?«
»Kind«, sagte Aslan. »Habe ich dir nicht schon einmal erklärt, daß niemand jemals erfährt, was passiert wäre!«
»Doch, Aslan, das hast du«, sagte Lucy. »Es tut mir leid. Aber bitte …«
»Rede weiter, mein liebes Herz!«
»Werde ich jemals die Geschichte noch einmal lesen dürfen, die, an welche ich mich nicht mehr erinnern kann? Wirst du sie mir erzählen, Aslan? O bitte, bitte, bitte.«
»Ja, natürlich, ich werde sie dir noch jahrelang erzählen. Aber jetzt komm. Wir müssen den Herrn des Hauses begrüßen.«
Die Tölpelbeiner sind wieder glücklich
Lucy folgte dem großen Löwen hinaus auf den Flur, und dort sah sie, daß ihnen ein alter Mann entgegenkam. Er war barfuß und mit einer roten Robe bekleidet. Sein weißes Haar war von einem Kranz aus Eichenblättern gekrönt, sein Bart fiel bis auf den Gürtel, und er stützte sich auf einenseltsam geschnitzten Stab. Als er Aslan sah, verbeugte er sich tief und sagte: »Sei willkommen, Herrscher, im bescheidensten Eurer Häuser.«
»Wirst du müde, Koriakin, über diese törichten Geschöpfe zu herrschen, die ich dir überlassen habe?«
»Nein«, antwortete der Zauberer. »Sie sind sehr dumm, aber sie tun nichts Böses. Ich fange an, diese Geschöpfe liebzugewinnen. Manchmal bin ich vielleicht ein wenig ungeduldig und sehne den Tag herbei, an dem man mit Weisheit statt mit Zauberei über sie regieren kann.«
»Alles zu seiner Zeit, Koriakin«, sagte Aslan.
»Ja, alles zu seiner Zeit, Herrscher«, war die Antwort. »Habt Ihr vor, Euch den Geschöpfen zu zeigen?«
»Nein«, sagte der Löwe mit einem leisen Brummen, das (nach Lucys Meinung) so etwas wie ein Lachen war. »Ich würde sie zu Tode erschrecken. Und heute vor Sonnenuntergang muß ich Trumpkin, den Zwerg, besuchen, der im Schloß von Feeneden sitzt und die Tage zählt, bis sein König, Kaspian, heimkehrt. Ich werde ihm deine Geschichte erzählen, Lucy. Mach kein so trauriges Gesicht. Wir werden uns bald wiedersehen.«
»Bitte, Aslan«, sagte Lucy. »Was nennst du bald!«
»Ich nenne jegliche Zeit bald«, sagte Aslan. Im selben Augenblick verschwand er, und Lucy blieb mit dem Zauberer allein zurück.
»Weg!« sagte der. »Und wir beide sind ganz niedergeschlagen. So ist es immer–man kann ihn nicht halten. Er ist eben kein zahmer Löwe. Und wie hat dir mein Buch gefallen?«
»Teilweise sehr, sehr gut«, sagte Lucy. »Wußtest du die ganze Zeit über, daß ich da war?«
»Nun, als ich zuließ, daß die Tölpel sich unsichtbar machten, wußte ich natürlich, daß du bald kommen und den Zauber aufheben würdest. Aber ich wußte nicht genau,an welchem Tag das sein würde. Und heute morgen habe ich nicht richtig aufgepaßt. Weißt du, sie hatten mich ja auch unsichtbar gemacht, und wenn ich unsichtbar bin, dann werde ich immer müde. Uuu-ah–da gähne ich schon wieder. Hast du Hunger?«
»Na ja, vielleicht ein bißchen«, sagte Lucy. »Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist.«
»Komm«, sagte der Zauberer. »Für Aslan mag ja jegliche Zeit egal sein; aber in meinem Haus sind die hungrigen Zeiten immer Essenszeiten.«
Er führte sie ein Stück den Gang hinunter und öffnete eine Tür. Lucy trat ein und befand sich in einem schönen Zimmer voller Sonnenlicht und Blumen. Als sie hereinkam, war der Tisch leer. Aber auf ein Wort des Zauberers hin erschienen ein Tischtuch, Besteck, Teller, Gläser und Speisen.
»Ich hoffe, daß dir das schmeckt«, sagte der Zauberer. »Ich habe versucht, dir Speisen zu servieren, die dem, was du zu Hause ißt, ähnlicher sind als das, was du in letzter Zeit bekommen hast.«
»Es ist herrlich«, sagte Lucy. Und das war es auch. Da gab es ein Omelette, noch ganz heiß, kaltes Lammfleisch und grüne Erbsen und zum Nachtisch Stachelbeereis. Zu
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