Lewis, CS - Narnia 6
hindurch fiel ein gleichmäßiger Regen. Er klatschte gegen die Fenster des Schlosses, doch Jill schlief fest und hörte es nicht. Sie verschlief die Abendessenszeit und auch um Mitternacht schlief sie noch. Und dann kamen die leblosesten Stunden der Nacht und nichts außer Mä u sen rührte sich im Haus der Riesen. Zu dieser Stunde hatte Jill einen Traum.
Es schien ihr, als wachte sie im gleichen Zimmer auf und sähe das weit heruntergebrannte und rot glühende Feuer und im Schein des Feuers das große hölzerne Pferd. Das Pferd kam von allein, rollte auf seinen R ä dern über den Teppich und blieb bei ihrem Kopf st e hen. Und jetzt war es kein Pferd mehr, sondern ein Löwe, so groß wie das Pferd. Und dann war es kein Spielzeuglöwe mehr, sondern ein richtiger Löwe, der Löwe, geradeso, wie sie ihn auf dem Berg hinter dem Ende der Welt gesehen hatte. Und ein Duft von allen köstlich riechenden Dingen der Welt erfüllte den Raum. Doch in Jill war ein Kummer, den sie sich nicht zu erklären vermochte, und die Tränen strömten über ihr Gesicht und nässten das Kissen. Der Löwe befahl ihr die Zeichen zu wiederholen und sie stellte fest, dass sie alles vergessen hatte. Da überkam sie ein großer Schrecken. Aslan hob sie in seinem Maul hoch (sie konnte seine Lippen und seinen Atem spüren, aber nicht die Zähne), trug sie zum Fenster und ließ sie hi n ausschauen. Der Mond leuchtete hell; und da stand über der Welt oder dem Himmel (welches von beiden es war, wusste sie nicht) in großen Buchstaben g e schrieben: UNTER MIR. Danach verblasste der Traum, und als sie sehr spät am nächsten Morgen e r wachte, wusste sie nicht einmal mehr, dass sie g e träumt hatte.
Sie war aufgestanden, hatte sich angezogen und war gerade mit ihrem Frühstück vor dem Feuer fertig, als das Kindermädchen die Tür öffnete und sagte:
»Hier sind die Freunde von meinem Püppchen und wollen mit ihm spielen.«
Herein kamen Eustachius und der Moorwackler.
»Hallo! Guten Morgen!«, sagte Jill. »Ist das nicht herrlich? Ich habe, glaube ich, etwa fünfzehn Stunden geschlafen. Jetzt fühle ich mich besser. Ihr auch?«
»Ich schon«, erklärte Eustachius, »aber Trauer pfützler sagt, er habe Kopfweh. Oh – dein Fenster hat eine Fensterbank. Wenn wir da hinaufsteigen, können wir hinausschauen.« Gesagt, getan; und auf den ersten Blick rief Jill: »Oh, wie schrecklich!«
Die Sonne schien und abgesehen von ein paar Schneewehen war der Schnee fast völlig vom Regen weggewaschen worde n. Unter ihnen lag wie eine au s gebreitete Karte die flache Hügelkuppe, über die sie sich am vorherigen Nachmittag gekämpft hatten. Vom Schloss aus betrachtet waren es ohne Zweifel die Ru i nen einer riesigen Stadt. Jill sah jetzt, dass das Gelände deshalb so eben war, weil das Pflaster noch immer ex i stierte, obwohl es an einigen Stellen Beschä digungen aufwies. Die kreuz und quer verlaufenden Wälle waren die Überreste von riesigen Gebäuden, die einst wohl Riesenpaläste und Riesentempel gewesen sein moc h ten. Ein Mauerstück, etwa hundertfünfzig Meter hoch, stand noch: Das war es, was Jill für einen Felsen geha l ten hatte. Die Dinger, die wie Fabrik schornsteine au s gesehen hatten, waren wahnsinnig große Säulen, die in verschiedenen Höhen abgebrochen waren. Die Bruchstücke lagen am Fuß der Säulen und sahen wie gefällte Bäume aus ungeheuer großen Steinen aus. Die Felsensimse, über die sie an der Nordseite des Hügels hinuntergeklettert waren – und zweifellos auch die a n deren, über die sie an der Südseite heraufgeklettert w a ren –, stellten die übrig gebliebenen Stufen gigant i scher Treppen dar. Und als Krönung des Ganzen: In der Mitte der gepflasterten Fläche verliefen in großen, dunklen Lettern die Worte UNTER MIR.
Die drei Reisenden schauten sich bestürzt an und nach einem kurzen Pfiff sprach Eustachius aus, was alle dachten: »Wir haben das zweite und das dritte Ze i chen verpasst.« Und in diesem Augenblick fiel Jill ihr Traum wieder ein.
»Es ist meine Schuld«, sagte sie verzweifelt. »Ich – ich habe es aufgegeben, die Zeichen jeden Abend auf zusagen. Hätte ich an sie gedacht, dann hätte ich ges e hen, dass es die Stadt ist, sogar bei all dem Schnee.«
»Ich trage noch mehr Verantwortung«, entgegnete Trauerpfützler. »Ich habe es gesehen, oder zumindest fast. Ich fand, dass es recht viel Ähnlichkeit mit einer zerfallenen Stadt hatte.«
»Du bist der Einzige, der keine Schuld trägt«, erklär te
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