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Lewis, Michael

Lewis, Michael

Titel: Lewis, Michael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: The Big Short
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siebenstellige Jahreseinkommen hatten, legten es darauf an, den nur fünfstellig
honorierten Minderbemittelten möglichst hohe Bewertungen für möglichst faule
Kredite abzuringen. Dieser Aufgabe widmeten sie sich mit Gründlichkeit und
Effizienz, die Absolventen von Eliteuniversitäten eigen ist. So fanden sie
schnell heraus, dass die Leute von Moody's oder S&P gar nicht die einzelnen
Eigenheimdarlehen bewerteten. Sie warfen noch nicht einmal einen Blick darauf.
Sie und ihre Modelle sahen und bewerteten nur die allgemeinen Merkmale von
Darlehenspools.
    Ein
Beispiel dafür war die Handhabung von FICO Scores. Diese FICO Scores - so
genannt, weil sie in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts von einem
Unternehmen namens Fair Isaac Corporation erfunden worden waren - maßen
vorgeblich die Kreditwürdigkeit einzelner Kreditnehmer. Der höchstmögliche
FICO-Wert war 850. Der niedrigste war 300. In den USA lag er im Mittel bei 723.
FICO Scores waren stark vereinfachend. Sie berücksichtigten zum Beispiel nicht das
Einkommen des Kreditnehmers. Außerdem konnten sie frisiert werden. Ein
potenzieller Kreditnehmer konnte seinen FICO-Wert erhöhen, indem er
Kreditkartenschulden machte und unmittelbar beglich. Ungeachtet dessen wurde
die Problematik der FICO Scores als solche von der Art und Weise in den
Schatten gestellt, wie sie von den Ratingagenturen missbraucht wurden. Moody's
und S&P baten die Darlehensbündler nicht um eine Liste der FICO Scores
aller Kreditnehmer, sondern um den durchschnittlichen FICO-Wert des ganzen
Pools. Um die Standards der Ratingagenturen zu erfüllen - um den Prozentsatz an
aus einem beliebigen Darlehenspool kreierten AAA-Anleihen zu maximieren -,
musste der durchschnittliche FICO-Wert der Kreditnehmer des Pools rund 615
betragen. Dieser Durchschnittswert ließ sich auf verschiedenen Wegen erreichen.
Und darin lag eine enorme Chance. Ein Darlehenspool, der sich aus Kreditnehmern
zusammensetzte, die alle einen FICO-Wert von 615 hatten, war lange keiner
solchen Verlustwahrscheinlichkeit ausgesetzt wie ein Pool, dessen Kreditnehmer
zur Hälfte FICO Scores von 550 und zur anderen Hälfte Werte von 680 aufwiesen.
Wer einen FICO-Wert von 550 hatte, war im Grunde ein sicherer Ausfallkandidat,
und man hätte ihm nie Geld leihen dürfen. Doch das Loch in den Modellen der
Ratingagenturen ließ zu, dass so ein Darlehen vergeben wurde, solange ein
Kreditnehmer mit einem FICO-Wert von 680 aufgetrieben werden konnte, durch den
der Versager ausgeglichen und ein Schnitt von 615 gehalten wurde.
    Wo
aber sollte man Kreditnehmer mit hohen FICO Scores finden? Hier nutzte man in
den Rentenhandelssälen der Wall Street einen weiteren blinden Fleck der
Ratingagentur-Modelle. Offenbar machten die Agenturen keinen Unterschied
zwischen sogenannten »Thin File«-und »Thick File«-FICO Scores - solche mit
dünner und mit dicker Akte. Wie die Bezeichnung »dünne Akte« andeutet, handelt
es sich dabei um eine kurze Kredithistorie. Dünn war die Akte deshalb, weil der
Kreditnehmer bislang noch nicht oft Schulden gemacht hatte. Einwanderer, die
noch nie in Verzug geraten waren, weil sie noch nie ein Darlehen erhalten
hatten, hatten mitunter erstaunlich hohe »Thin File«-FICO Scores. So wirkte ein
jamaikanisches Kindermädchen oder ein mexikanischer Erdbeerpflücker mit einem
Einkommen von 14000 US-Dollar, der eine Dreiviertelmillion aufnehmen wollte, gefiltert
durch die Modelle von Moody's und S&P, aus der Perspektive eines
Bonitätsmanipulators plötzlich viel interessanter. Immerhin konnten solche
Kreditnehmer die wahrgenommene Qualität eines Darlehenspools verbessern und den
Anteil erhöhen, der mit AAA benotet werden konnte. Der Mexikaner erntete
Erdbeeren. Die Wall Street erntete seinen FICO-Wert.
    Die
von den Ratingagenturen eingesetzten Modelle boten viele solcher Möglichkeiten.
Der Trick dabei war, sie vor allen anderen ausfindig zu machen - zum Beispiel,
indem man feststellte, dass Moody's wie S&P variabel verzinsliche
Hypotheken mit niedrigen Lockzinsen gegenüber festverzinslichen bevorzugten.
Oder dass sie nicht darauf achteten, ob ein Darlehen sich auf einen boomenden
Immobilienmarkt bezog oder auf einen ruhigen. Oder dass ihnen der implizite
Betrug bei Darlehen ohne Kredithistorie offenbar gar nicht bewusst war. Oder
dass sie blind waren für eventuell vorhandene »stille Sekundäre« - Zweithypotheken,
die bewirkten, dass der Eigenheimbesitzer kein Eigenkapital mehr in seinem
Haus stecken

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