Lewis, Michael
hatte und damit auch keinerlei finanziellen Anreiz dafür, nicht
einfach der Bank den Schlüssel zu überlassen und sich aus dem Staub zu machen.
Sobald ein cleverer Hypothekenanleihenschnürer von der Wall Street ein weiteres
Beispiel für die Dummheit oder Nachlässigkeit der Ratingagenturen entdeckte,
genoss er einen Marktvorteil: Je ramschiger ein Darlehenspool, desto billiger
war er. Hantelförmige Darlehenspools, die jede Menge sehr hohe und sehr
niedrige FICO Scores enthielten, waren im Vergleich zu den auf den Durchschnitt
von 615 konzentrierten Pools zum Schnäppchenpreis zu haben - jedenfalls so
lange, bis der Rest der Wall Street das Loch in den Überlegungen der Ratingagenturen
erkannte und die Preise in die Höhe trieb. Bevor das eintrat, genoss das
jeweilige Wall-Street-Unternehmen ein perverses Monopol. Es konnte bei dem
Verbriefer anrufen und sagen: »Sagen Sie es nicht weiter, aber wenn Sie mir einen
Pool von Darlehen mit hohen >Thin File<-FICO Scores anbieten können,
zahle ich Ihnen mehr als jeder andere.« Je ungeheuerlicher die Patzer der
Ratingagenturen, desto größer die Chancen für die Handelsabteilungen an der
Wall Street.
Im
Spätsommer 2006 wussten Eisman und seine Partner davon noch nichts. Sie wussten
nur, dass die Investmentbanken der Wall Street offenbar Leute beschäftigten,
die nichts anderes taten, als die Modelle der Ratingagenturen zu manipulieren.
Auf einem rationalen Markt wären Anleihen, die auf Pools weniger
vertrauenswürdiger Darlehen beruhten, niedriger bepreist worden als solche,
denen solidere Kredite zugrunde lagen. Subprime-Hypothekenanleihen wurden
ausnahmslos durch die Ratings bepreist, die Moody's ihnen verliehen hatte. Alle
AAA-Tranchen wurden zum selben Preis gehandelt und alle BBB-Tranchen zu einem
anderen, obwohl sich eine von der anderen wesentlich unterschied. Und all diese
Anleihen wurden auf der Grundlage der Moody's-Ratings bepreist. Die am
stärksten überbewerteten Anleihen waren die mit dem unangemessensten Rating.
Und das unangemessenste Rating erhielten Anleihen, bei denen die
Wall-Street-Firmen die Ratingagenturen trickreich zu einem vollkommen
abgehobenen Rating veranlasst hatten. »Ich kann verdammt noch mal einfach nicht
glauben, dass das zulässig ist«, meinte Eisman. »Das habe ich bestimmt tausend
Mal gesagt.«
Eisman
wusste nicht genau, wie die Ratingagenturen manipuliert worden waren. Das
musste er noch herausfinden. Daher machte sich sein Team auf die monatelange
Suche nach den am stärksten überbewerteten Anleihen auf einem überbewerteten
Markt. Sie hatten sich schon etwa einen Monat lang dieser Aufgabe gewidmet,
nachdem sie die ersten Credit Default Swaps auf Subprime-Hypothekenanleihen
von Lippmann gekauft hatten, als Vincent Daniel und Danny Moses nach Orlando
flogen - zu einer Veranstaltung, die zu einer
Subprime-Hypothekenanleihenkonferenz ausartete. Sie hatte einen recht
undurchsichtigen Namen - ABS East - war aber im Grund eine Fachmesse für eine kleine
Industrie: die Leute nämlich, die Subprime-Hypotheken vergaben, die
Wall-Street-Firmen, die Subprime-Hypotheken umverpackten und verkauften, die
Fondsmanager, die ausschließlich in mit zweitklassigen Hypotheken unterlegte
Anleihen investierten, die Agenturen, die Subprime-Hypothekenanleihen bewerteten,
und die Juristen, die taten, was Juristen eben so tun. Daniel und Moses hielten
das für einen Höflichkeitsbesuch einer Hausindustrieveranstaltung, doch das
Haus erwies sich als ausgewachsenes Schloss. »Diese Branche ernährte so viele
Menschen«, meinte Daniel. »Da wurde uns klar, dass die Rentenabteilungen der
Maklerhäuser darauf aufgebaut waren.«
Dort
kamen sie auch erstmals direkt mit den Ratingagenturen in Kontakt. Greg
Lippmanns Team hatte das arrangiert - unter der Bedingung, dass sie nicht
zugaben, dass sie gegen Subprime-Hypothekenanleihen spekulierten, sondern so
taten, als ob sie darauf setzten. »Wir sollten nur sagen: >Wir sind hier, um
solche Papiere zu kaufen<«, erzählte Moses. »Die Leute sollten denken:
>Oh, die interessieren sich für die Papiere, weil sie ein attraktives Niveau
erreichen.<« In einem kleinen Zimmer im Ritz-Carlton Hotel in Orlando
trafen sie mit Moody's und S&P zusammen. Vinny und Danny vermuteten
bereits, dass der Subprime-Markt die Kreditanalyse an Leute delegiert hatte,
die gar keine Kreditanalyse durchführten. Nichts, was sie an jenem Tag erfuhren,
war dazu angetan, ihren Verdacht zu entkräften. Die S&P-Leute zeigten
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