Lewis, Michael
sein. Er
hatte noch nie mit hypothekenunterlegten Anleihen gehandelt, verstand so gut
wie nichts von Immobilien, fand den Fachjargon des Rentenmarktes verwirrend und
war sich nicht sicher, ob die Deutsche Bank oder sonstwer zulassen würde, dass
er Credit Default Swaps auf minderwertige hypothekenunterlegte Anleihen erwarb
- zumal dies ein Markt war, auf dem sich zumeist institutionelle Investoren tummelten,
und er und seine beiden Partner Ben Hockett und Jamie Mai waren alles andere
als das. »Dennoch habe ich mir diese Präsentation angesehen und mich gefragt:
>Wie kann das nur möglich sein?<« Anschließend schlug er diese Idee
seinen Partnern vor und stellte ihnen die Frage: »Warum macht das nicht schon
jemand, der mehr davon versteht als wir?«
Jeder
neuen Geschäftsidee fehlt es zunächst an Glaubwürdigkeit, doch Jamie Mais und
Charlie Ledleys Einfall, Anfang 2003 eine Investmentmanagementfirma zu gründen,
grenzte schon ans Lächerliche: Zwei 30-jährige Männer mit einem Konto bei
Schwab, auf dem 110000 US-Dollar lagen, richteten im Schuppen hinter dem Haus
eines Freundes in Berkeley, Kalifornien, ihr Büro ein und nannten das Ganze
dann hochtrabend Cornwall Capital Management. Keiner von ihnen hätte sich guten
Gewissens als Finanzexperte mit einem sicheren Gespür für Investitionen
ausgeben können. Beide hatten kurze Zeit in sehr untergeordneter Funktion im
Innendienst für die New Yorker Private-Equity-Gesellschaft Golub Associates
gearbeitet, aber keiner der beiden hatte je eine echte Investmententscheidung
getroffen. Jamie Mai war ein hoch gewachsener, äußerst attraktiver Mann,
weshalb man ihm die Rolle des Entscheidungsträgers, der die Zügel in der Hand
hatte, gerne abkaufte - zumindest so lange, bis er den Mund aufmachte und
bekundete, dass er nichts und niemandem vertraue oder für sicher hielte -
weder, dass auch morgen die Sonne wieder aufginge, noch dass die menschliche
Rasse eine Zukunft habe. Jamie hatte die nervige Angewohnheit, sich selbst
mitten im Satz zu unterbrechen und »äh, äh, äh« zu stammeln, als ob ihn seine
eigenen Gedanken beunruhigen würden. Charlie Ledley war sogar noch eigenartiger:
So blass wie er war, erinnerte er an einen Leichenbestatter, der offenbar gar
nicht anders konnte, als die Dinge auf die lange Bank zu schieben. Selbst auf
eine einfache Frage hin starrte er stumm Löcher in die Luft, nickte und
blinzelte mit den Augen wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hatte. Und
wenn er dann doch einmal den Mund aufmachte, war sein Gegenüber versucht, vom
Stuhl hochzuspringen und laut zu rufen: Es spricht!
Von
beiden hieß es, sie seien gutmütig, planlos, neugierig, intelligent, aber
orientierungslos - also der Typ Mann, der sich einen beeindruckenden Bart
stehen lässt und zur 15-jährigen Abiturfeier mit der unglaublichen und
sagenhaft komplizierten Geschichte seines Lebens beeindruckt. Charlie verließ
das Amherst College nach seinem ersten Studienjahr und half ehrenamtlich bei
der ersten Wahlkampagne Bill Clintons. Obwohl er anschließend sein Studium
wiederaufnahm, schien er mehr an seinem eigenen Idealismus interessiert zu
sein als daran, Geld zu verdienen. Jamie arbeitete nach seinem Studium an der
Duke-Universität an der Ostküste und lieferte Segelboote an wohlhabende
Privatleute aus. (»Spätestens in dem Moment wurde mir klar - äh, äh, äh -, dass
ich einen anständigen Beruf ergreifen musste.«) Im Alter von 28 Jahren nahm er
sich eine Auszeit von 18 Monaten und reiste mit seiner Freundin durch die ganze
Welt. Schließlich landeten sie in Berkeley, doch nicht etwa, weil Charlie auf
der Suche nach fruchtbarem Boden für seine Zukunftspläne war und viel Geld
verdienen wollte, sondern weil es seine Freundin dort hinzog. Im Prinzip
mochte Charlie Berkeley nicht einmal, denn er war in Manhattan groß geworden,
und sein Standesdünkel als waschechter New Yorker führte dazu, dass er sich da
draußen in der Wildnis fühlte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Letztlich blieb
er dann doch dort, weil ihm die Vorstellung gefiel, gemeinsam mit Jamie
stinkreich zu werden. Die 110 000 US-Dollar auf dem Konto gehörten Jamie, und
die Garage, in der er nun schlief, ebenfalls.
Sie
verfügten also weder über ausreichend Kapital noch über eine vernünftige
Geschäftsidee. Das Einzige, was sie teilten, war eine gewisse Vorstellung über
Finanzmärkte. Oder genauer gesagt, ein paar ähnliche Vorstellungen. Ihr kurzes
Intermezzo in der
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