Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
Vom Netzwerk:
Launen eines Kindergottes zu tun, der sich im Befehlen übt und
dabei kichert. Dies Kichern war als Anregung gemeint, nichts leichter, als
sich selbst im Gelächter von der Platte zu fegen, probeweise wohlgemerkt,
meinetwegen die Frau gleich mit, Kinder, Patientinnen, Schwiegermutter,
Schwiegervater, Tante Luise, Tante Emma, Tante Clara, den Hund, alle gleich
mit. Sau, Sau, Sau, wer da nicht lacht, ist selber schuld. Wer das eigne
Saufleisch nimmt und an den Haken hängt, ein Depp.
    Von
der Albernheit der Selbstmörder, ihren absurden Posen, macht sich der
Selbstmörder in spe, der unser Vater in diesem Moment ja war, gar keine Vorstellung.
    Wäre
meine Schwester jetzt zur Stelle, riefe sie mich zur Raison: unser Vater hat
das Wort Sau überhaupt nicht benutzt, schon gar nicht mit Bezug auf sich
selbst; und falls der Kindergott ihm auf bulgarisch das Äquivalent für Sau
eingegeben haben sollte, nun, da sind wir mit unserem Latein sowieso am Ende.
Recht hat sie, meine Schwester, wie so oft.
    Es
ist vielmehr so, dass unser Vater sein mögliches Erhängen immer schon
mitbedacht hat. Mehr philosophisch denn schweinehaft. Versah er doch eine seiner
Lieblingsstellen bei Nietzsche mit Anmerkungen - wo es um die Tragikomödien
des Menschenlebens geht, die, wieder und wieder von neuen Schauspielern
abgespielt, erstaunlich langeweilewidrig seien. Obwohl
man doch glauben sollte, dass die gesamte Zuschauerschaft des Erdtheaters sich
längst aus Überdruss daran an allen Bäumen aufgehängt hätte. Ha
ha, da lachte unser Vater und schrieb an den Rand: Überdruss!
Überdruss! Bis aufs Messer komisch! Und setzte in seinem
überbordenden Anmerkungstrieb noch das Wort Jawohl mit gleich drei Ausrufungszeichen hinzu.
    Ich
habe inzwischen den Verdacht, unser Vater gehört zu den Heilsunwerten, der
augustinischen massa damnata. Er
war gehalten, sich als potentiell heilswürdiger Namensträger aufzuführen, um
dereinst für die Wiederauffüllung der durch den Engelssturz ausgedünnten
himmlischen Chöre in Frage zu kommen. Man hatte sogar vorgesorgt und ihm eine
schöne, melodiöse Stimme verliehen, die er im Hierseits schon mal in Richtung
auf den Endzweck hätte schulen können. Aber nein. Er hat sich verweigert. Ist
stracks aus der Furche gerannt, in der sich zu halten sein Name ihm geboten
hatte. Hat auf der eigenen versudelten Leiblichkeit bestanden, diese verwirkt
und das Himmelreich gleich mit. Aus einem Erwählten wurde nach und nach ein
trübsinniger Haustyrann, ein Empfindlichkeitsapostel, ein Schmerzensmännchen,
das die eigenen Wehs und Achs genoss. Nicht auf Jesus gestellt (kleine Irrungen
inbegriffen) war dieses Leben, nicht Bin ich gleich von dir
gewichen, stell ich mich doch wieder ein, neinnein,
sein verhunzter Wahlspruch hieß: Bin ich gleich von mir gewichen, stell ich mich doch wieder ein.
    Andererseits
wollen wir nicht unter den Tisch fallen lassen, dass manche Kommentatoren
behaupten, der Gnadenschatz sei unermesslich, groß genug, um für den Teufel zu
reichen, für die unter seinen düsteren Schwingen versammelte massa damnata
sowieso. Nach dieser Lesart wäre unser Vater nach einem Aönchen Wartefrist
wieder fein raus.
    Wurde
schon erwähnt, dass wir manchmal mitten in der Nacht von ihm angerufen werden?
Wir konzentrieren uns dann mit aller Kraft darauf, zu verstehen, was uns der
Vater sagen will. Da wir aber, wie gesagt, kein Vorstellungsvermögen mehr
besitzen, das uns die väterliche Stimme als eine auf Anhieb erkennbare
vorführte, versagen wir regelmäßig beim Dechiffrieren der nächtlichen
Botschaften, sind unsicher, ob nicht der Nachbar von nebenan in unseren Traum
reingequasselt hat. Im Traum spricht unser Vater natürlich nicht bulgarisch,
weil das ja auf taube Ohren stieße. Da uns sein Deutsch nicht minder
zweifelhaft ist, spricht er inzwischen hamletisch.
    Corpsing,
sagt der Vater und lacht, wir hätten ihn wieder mal beim corpsing erwischt.
    Obwohl
meine Schwester gerne ins Allgemeine hinaus behauptet, unser Vater käme in
Träumen nicht vor, war sie neulich nachts nah dran, ihn zu packen: sie ging auf
ein Gebäude zu, welches sie im ersten Moment für die Kaaba hielt, und begann
sogleich, sich zu sorgen, ob sie sich diesem Gebäude als Frau überhaupt nähern
dürfe. Sie ging auch nicht verschleiert, sondern in ihrem lindgrauen
Sommerkostüm, das die Beine bis an die Knie zeigt. Der Würfel ließ seine legendäre
Schwärze vermissen, und weit und breit waren keine Muslime um ihn her.
Moosgrün

Weitere Kostenlose Bücher