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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Argumente erledigt. Das Geziefer hat alles weggenagt, was an
behaartem Bulgarenfleisch an ihm dran war, lange bevor die Schweden seine
Reste zu fassen bekamen. Auf das Geziefer ist Verlass, sage ich zur Krähe und
hebe ein imaginäres Glas auf das Wohl der unterirdischen Putzkolonnen.
     
    Lösch
mir meine Augen, Kleines
     
    Lösch
mir meine Augen, Kleines. Sagt wieder mal der Vater. Sein wer-weiß-wie-haftes
Gesicht mit den rauchenden Augen, auf die ich einen nassen Lappen legen soll:
altbekannt, aus Träumen. Hier hat es nichts zu suchen. Taghell ist's,
schmerzend hell, ich sitze immer noch auf der Mauer und habe eine Sonnenbrille
auf.
    Ein
luftiges Mückengeschwader tanzt im Licht.
    Hat
er je in der Bibel gelesen? Nicht, dass wir wüssten. Wir sahen ihn Zeitung
lesen, im Sessel. In den Seiten seiner gespenstischen Arztbücher fingernd, saß
er auf dem roten Sofa. Sehr gegen meinen Willen befällt mich jetzt eine heitere
Erinnerung, und sie betrifft mich allein; meine Schwester kommt darin nicht
vor, und das bedeutet Verrat.
    Der
Vater liebte es, wenn ich ihm aus der Stuttgarter Zeitung vorlas
- bevor ich lesen konnte. Er amüsierte sich königlich, wenn ich würdevoll die
Zeitung entfaltete und nach einem geeigneten Artikel Ausschau hielt, gluckste
vor Lachen, wenn ich anfing zu lesen, spornte mich an und bedachte mich am Ende
meines Vortrags mit einem zarten Kuss. So sehr genoss ich dieses Privileg, dass
ich an manchen Tagen mit wenig anderem beschäftigt war, als mir auszudenken,
was ich dem Vater am Abend vorlesen würde.
    Das
kleine Zeitungstheater kam aber nur zur Aufführung, wenn es ihm gutging. Es
endete, als ich in die Schule kam. Von da an wurde er mehr und mehr zum
Finsterling. Ein Finsterling, der die Herzen seiner Kinder verdüsterte. Und
schon ist meine Schwester wieder unentbehrlich, hält mein Händchen, während wir
ihm ängstlich beim Schlüsselwerfen zusehen.
    Ein
Tick unseres Vaters bestand darin, seinen Schlüsselbund in den Himmel zu
werfen. Er stellte sich vor uns hin, sah nach oben und warf den Schlüssel in
die Höhe.
    Heute
weiß ich: der Mann benahm sich wie ein Tempeldiener, der trotzig den Dienst
quittiert und seinem Herrn den Schlüssel zuwirft. Sollte der da oben selber
zusehen, wie er sein Sach' hütete. Im Grunde wartete unser Vater auf ein
Wunder. Wäre der Schlüssel oben hängen geblieben, nur ein Mal, wäre alles anders gekommen. Unser Vater wäre in den
Offenbarungsmodus gelangt - erst hätten sich ihm die Haare gesträubt, er wäre
auf sein Antlitz gefallen und hätte mit Hilfe eines Engels auf die Füße
zurückgefunden; dann wäre die heilsunwerte Kristperson gelängt worden, ein
Sehnen, Lauschen, Fühlen hätte sie himmelwärts gehoben - unser Vater wäre ins
Offene geraten.
    Aber
nein. Entweder er fing den Schlüssel auf und machte in derselben Verfassung
weiter wie zuvor, oder der Schlüssel fiel zu Boden, und er wurde misslaunig.
Wir starrten ihn an. Seine Spiele waren nicht für uns bestimmt. Da kasperte
kein fröhlicher Vater herum, der seinen Töchtern zeigen wollte, was eine
Himmelsharke ist.
    Ja,
wir ärgern uns an ihm, ich mehr als meine Schwester, ich mit einem Sack voller
Gründe im Kopf; bei meiner Schwester schmaust der Arger an ihren verschlierten
Herzkammern.
    Er
hat von dem in seinem Namen wohnenden Heil keinen Gebrauch gemacht. Hat
zwischen zuviel Gott im Namen und zuwenig Gott im Leben kein Gleichgewicht gefunden.
Wieder und wieder vertiefte er sich in eine ominöse Leere, fischte darin nach
Schuld, die nicht zu erwischen war. Nichts hat da irgend konkret werden, einen
Namen finden und damit aus der Welt geschafft werden dürfen. Man sah, wie die
Rotte trüber Gedanken über ihn kam, es sank ihm der Kopf auf die Brust. Die
Hände lagen gefaltet über dem Bauch, aber nicht entspannt, sondern in ratloser
Schlaffheit. Ein lächerliches Hütchen saß auf seinem Kopf, wie ein kleines
gezacktes Photo beweist. Daneben die Frau in betonter Flottheit, die Beine
lässig ausgestreckt.
    Gehen
wir den Fall mal schärfer an. Womöglich handelte er auf Befehl (haha, das
glaubst du doch selbst nicht). War vielleicht auf eine vertrackte Probe
gestellt worden. Ein Fehlgebot, ein falscher Befehl war ergangen - lösch Dich
aus, Sau! (selber Sau, wer so was denkt) -, und er hörte wiederum nicht genau
hin, hat das Kichern überhört, das den Befehl begleitete. Behauptet sei jetzt
nicht: Befehl von Gott, Befehl vom Adversarius. Quatsch! Unser Vater hatte es
bloß mit den

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