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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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befestigen.
    Bulgarien
ist an unerwarteter Stelle so schön, dass man gar nicht über das Land
nachdenken darf, sagt meine Schwester. Plötzlich befällt es einen wie ein Schwarm
Gänse, der sich auf ein Feld setzt.
    Jetzt
ist sie richtig in Fahrt geraten und reckt den Hals wieder verdächtig in die
Höhe, als suche sie den Himmel nach ihren weißen Fluggenossen ab.
    Um
besser denken zu können, legt sie den Finger an die Nase. Ihre Brauen ziehen
sich zusammen. Rumen wartet, ich warte. Wir warten auf die unverhältnismäßig
klugen Gedanken, die da gerade geboren werden.
    Es
ist noch zu früh, so zarte Erlebnisse in Worte zu fassen, sagt sie, und nach
einer Pause, in der sich zwar keine Gänse zu hören geben, aber wenigstens Krähen,
blickt sie mir scharf ins Auge: Es hat keinen Zweck, über ein geschundenes
Land wie Bulgarien nachzudenken, es ist sinnlos, darüber zu reden oder zu
schreiben. Singen wäre das einzig Angemessene. Fremde müssten kommen und dieses
Land besingen!
    Jetzt
zwinkert sie mir fröhlich zu: Damit meine ich nicht uns. Man wird wohl kaum
zwei Leute finden, die schlimmer singen als wir.
    Ich
kenne wenigstens einen: Tabakoff.
    Meine
Schwester reißt den Mund auf und zeigt beim Lachen die gleichmäßigen
Oberzähne. Mit gespielt raunziger Stimme singt sie die Anfangszeilen von Mi
Buenos Aires querido.
    Da
die beiden mir so verschwebt vorkommen, wird mir auf der Mauer immer
unbehaglicher zumute. Ich sehe mich selbst in gedrungener Schwerhaftung
dahocken, während bröselscharfe Steinoberflächen sich in meine Handflächen
graben.
    Als
hätte sie meine Gedanken gelesen, löst die Schwester meine linke Hand von der
Mauer und zieht mich herab. Nun komme ich mir vollends wie ein Kind vor, das
sich unvernünftigerweise etwas zum Ziel gesetzt hat, wovon man es wegholen muss.
Schon lässt mich meine Schwester wieder los, und während mein Körper in sein
übliches Erwachsenenmaß zurückfindet, dreht sie sich leichtfüßig um und geht
zickzacklaufenden Schritts den Hügel hinunter Richtung Ausgang.
    Rumen
schaut auf, als denke er etwas Großes und Wichtiges, worin die Zukunft
Bulgariens beschlossen ist, dann folgt er meiner Schwester wie ein Betreuer,
vorsichtig, als dürfe man eine Geistwandlerin nicht von ihrem Pfad ablenken.
Ich gehe in einigem Abstand hinterher.
    In
den letzten zwanzig Minuten muss etwas passiert sein. Es ist schon lange her, dass
ich meine Schwester so gefühlhaft umwölkt erlebt habe, mehr als fünfundzwanzig
Jahre, da hatte sie gerade ihren grauenhaften Perser kennengelernt.
     
    Gold
     
    Zweiter Teil der heutigen Exkursion. Wir fahren Richtung Arbanassi.
Wald, Hügel, zauberhafte Lichtungen. Während der Fahrt schweige ich. Die
Landschaft möchte langsam und still vorüberziehen, aber der Daihatsu ist dafür
nicht gebaut.
    Schön,
o ja, wirklich schön. Auf einer bekiesten Unkrauthalde steigen wir aus. Nach
wenigen Schritten ändert sich alles.
    Das
Frauenkloster empfängt mit einem weinüberwachsenen Hof. Alles ringsum blüht
und gedeiht - in Töpfen, in Blechnäpfen, in schnurgeraden Furchen, an
terrassier-ten Kleinhängen und hölzernen Stützen; wohin das Auge schweift,
grünt und knospt und flammt es. Auch die Pfeiler der Wandelgänge überklettert
strotzende Pracht und streckt die Blütenkelche in tobenden losgebundenen Farben
nach der Sonne. Von Mückengold durchzucktes Blau. Libellen schweben wie
Liedzeilen vorüber. Einfache Holzbänke laden zum Sitzen ein. Ein Gesumm und
Gezwitscher in der Luft wie nicht gescheit, ein Schwänzeln, Rascheln, Flitzen,
Fliegen, Brummen um die drei Menschen her und an ihnen vorbei, geschäftig in
eigener Sache.
    Wir
setzen uns erst einmal hin und atmen und strecken die Beine. Benehmen uns wie
eine Wundergeburt, sehr sanft zur Welt gekommene Drillinge, noch unfähig zu
Differenz und Bosheit. Weil wir den seltenen Zustand auskosten wollen, sagt
keiner etwas.
    Eine
gebückte Nonne mit Eimer und Gartenschere kommt des Weges und grüßt. Rumen
steht auf und verbeugt sich, sie gehen miteinander im Gespräch, sie lachen,
wobei Rumen der Nonne Eimer und Schere abnimmt. Schattenfleckig im Gang,
lichtumflossen am Eck entfernen sie sich, dann sind sie verschwunden.
    Unsere
Schwesterherzen gleiten sanft über die schöne Welt, segeln ins Blau des Himmels
und mit der letzten Wolke davon.
    Eigentlich
hatte ich in Erfahrung bringen wollen, woher der aufgetummelte Zustand meiner
Schwester rührt, aber da kommt Rumen zurück und winkt. Er schlüpft in

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