Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
Vom Netzwerk:
zeigte er sich, in einem intensiv leuchtenden Grün, pflanzenbezogen,
wie von unterirdischen Wässern erfrischt und vom Tau bedunstet. Wo Fenster
hätten sein können, waren schwarzlackierte Bögen eingelassen. Mit lauter
Augenbrauen, aber ohne Augen präsentierte sich der Würfel, er lockte mit glänzenden
Brauen und enttäuschte zugleich damit, denn darunter waren keine Öffnungen,
weder für ein Hinaus noch ein Hinein.
    Du
erinnerst dich, unterbrach ich meine Schwester, als sie mir davon erzählte: wie
kühn der Schwung der väterlichen Augenbrauen verlief - auch wenn wir heute
seine geschworenen Feindinnen sind, dürfen wir diesen geglückten Zug an ihm
nicht unterschlagen.
    Meine
Schwester scherte sich nicht um meinen Einwurf. Laut ihr soll der Würfel auf
einer sich drehenden Plattform gehockt haben, und in seinem Unterwerk sollen
zweifelhafte Gottheiten sich getummelt haben, Mauerflatterer, wie meine
Schwester sagte. Sie wollten aus dem Unterbau losflattern, hatten aber nur
sackleinene Flügel zur Verfügung, und hinter diesen Unflatflügeln, Kellerflügeln
schien unser unglücklicher Vater hin und her zu huschen. Im Traum wurde meine
Schwester matt, war nicht mehr in der Lage, hinter den Sackflügeln nachzusehen.
So verlor sie unseren Vater wieder.
    Ich
machte sie darauf aufmerksam, dass das Wort Sack in Verbindung mit Vater
zweifelhaften Ausdeutungen Raum lässt, aber sie lachte nur in ihrer üblichen,
leicht wegwerfenden Art. Damit war die Sache erledigt. Mich beschäftigt noch
immer das unwahrscheinliche Grün des Gebäudes.
    Die
Krähe legt einen schlechten Bodenstart hin und fliegt weg.
    Da
kommen sie wieder, die zwei. In ein munteres Gespräch vertieft, Rumen
elastischen Schrittes, in blendender Laune. Man sieht auf die übel gestimmte
Schwester gönnerhaft herab, fühlt sich offenbar stark genug, es mit widerborstigen
Leutchen aufzunehmen, als wären's niedliche Igel -
    Es
gibt Minuten, da ist die Welt einfach nur schön und sonst nichts, sagt meine
Schwester und wackelt mit dem Kopf, als wäre diese Erkenntnis zu gewaltig für
ihren armen schmalen Schädel.
    Wenn
man die Landschaft so um sich gebreitet sieht, wenn dieser Rundumblick rein
wirken kann, ohne dass etwas Störendes dazwischentritt, fällt all der filzige
Hader von einem ab, fährt sie fort und streckt sich dabei so unerwartet in die
Höhe, dass ich denken muss, gleich fliegt sie mir weg.
    Weil
die beiden so nah vor mir stehen, fühle ich mich bedrängt und werde die Angst
nicht los, rückwärts von der Mauer zu kippen, weshalb sich meine Hände um die
Steinkante krampfen.
    Die
bulgarische Seele hat sich vielleicht selbst noch gar nicht richtig entdeckt,
sagt meine Schwester.
    Ich
vergesse meine Angst und staune. Die nüchterne Schwester und das Wort Seele
passen überhaupt nicht zusammen, Seele gehört eher in meinen Sprachbehälter.
Obwohl es ein zartes Wort ist, gleichsam eins mit zerzausten Flügeln,
verleitet es zu exaltiertem, schwammigem Gebrauch, also bitte Vorsicht beim
Verwenden.
    Rumen
befindet sich offenbar auch in unnatürlich gehobener Stimmung. Er schickt
einen Seufzer gen Himmel, was bei einem Mann, dem das schwarze Brusthaar aus
dem Hemd quillt, ziemlich albern wirkt.
    Sprechen
wir nicht davon, sagt er und blickt dann bedeutungsvoll zu Boden, als stünden
wir auf dem Deckel einer geheimen Kammer voll der gewaltigsten Seelenschätze,
die die Menschheit angesammelt hat.
    Bulgarien
mag derzeit sittlich verroht sein, sagt meine Schwester, aber ich glaube, das
wird sich bald ändern. Aus der Vergangenheit werden ihm Kräfte zuwachsen, von
denen es im Moment noch gar nichts weiß.
    Sittlich
verroht? Habe ich richtig gehört? Was ist bloß in meine
Schwester gefahren. Wenn das so weitergeht, kenne ich mich nicht mehr aus. Wie
ein Arzt, der eine Wahnsinnige begutachten muss, blicke ich ihr in die Augen.
Die Pupillen sind klein. Das Weiß ist makellos, schimmerndes Porzellan und kein
einziges geplatztes Äderchen darin. Ein provozierendes Gesundheitsweiß. Kein
Alkohol, keine Zigaretten, guter Schlaf, reines Gewissen.
    Das
sind immer noch dieselben braunen Augen mit den feinen Sprengsein Grün,
wundersam feucht gehalten und deshalb warm im Ton, aber nüchtern vom Ausdruck
her, wenn man sie länger betrachtet. Und das zarte Gesicht meiner Schwester
mit dem kleinen Leberfleck auf der Wange ist immer noch dasselbe Gesicht, immer
in Gefahr, etwas ins Ungewisse zu driften, würden die feinen Linien um Mund und
Augen es nicht

Weitere Kostenlose Bücher