Lewitscharoff, Sibylle
einen
Eingang, wir folgen. Plötzlich stehen wir in einem Vorraum und müssen uns an
die feuchtklamme Atmosphäre und das Dunkel gewöhnen. Wir sind umzingelt von
Wandfresken, rot, blau, umbrafarben, mit auf den ersten Blick etwas naiver
Figurenzeichnung, Nimben um die Köpfe der Heiligen, deren Namen und Legenden
wir nicht kennen. Wir sind keine Eingeweihten, mit einem Mal ängstigt uns, dass
wir rein gar nichts wissen.
Mir
ist, als würden die Figuren tuscheln, in schlecht verhehltem Zorn, mit gepressten
Heiligenlippen sich beraten und in ihre zweigeteilten Barte tuscheln über uns
dahergelaufene Kristotöchter. Vor meinen Augen schwanken die Dichtgedrängten
mitsamt ihren Nimben ineinander, als hätte feiner Nebel ihre Konturen ins Zarte
gelöst. Aber den Ernst der bräunlichen Gesichter erkenne ich, auf den Ernst der
Gesichter ist in einer orthodoxen Kirche Verlass.
Rumen
geht voran in den Hauptraum. Dürfen wir da überhaupt hinein? Wir setzen
schüchtern einen Fuß vor den anderen und benehmen uns in allem sehr, sehr
vorsichtig. Wer beschreibt den Aufruhr, sobald wir die Augen im Raum
herumjagen?
Von
vorne blitzt's. Wir stehen wie von langem Arm hingerückte Spielzeugfiguren,
aber nicht starr, sondern erweicht. Ein unerhörter, nie gesehener Tumult an der
Wand.
Da
ist nicht einfach Gold, das in schweren Klumpen vor sich hinbrütet, sondern
inspiriertes Gold, das beim Sich-Weiten der Lungenflügel funkelt, beim Ausatmen
schimmert und verlischt. Entzücktes Gold, gewecktes Gold und dann wieder
Schlummergold, das im Dunkel versinkt. Sobald wir paar Schritte gehen, hüllt
sich ein, worauf gerade noch der Blick ruhte, und eine andere Partie entdeckt
sich, flammt auf wie der Jüngste Tag.
Reflexe
über Reflexe, von Kerzen und Öllämpchen erzeugt, geben bedeutsamen Schimmer
und sich zuhüllenden Dämmer. Das lebt und konversiert und schläft und träumt
nebeneinander im Wechsel. Schon versinkt in der Schattenflut ein Heiliger, der
soeben noch den Finger hob. Mir ist, als würden spitzige Fragen gestellt, aber
Antwort gegeben würde ruhig. Im nächsten Augenblick scheint alles nach dem
Magnetkern der Stille zu ziehen, mit Fledermausohren weit offen.
Die
Extreme rücken hier enger zusammen als anderswo und haben vergessen zu kämpfen.
Neben der zum Küssen auf einen Tisch gestellten Ikone der Muttergottes steht
ein rostiger Blechnapf voll welker Blumen, die dem Tischtuch zusinken.
Rumen
hat sich umgedreht, und jetzt sehen auch wir sie: an einem anderen Tisch sitzt
eine alte Nonne, vor ihr bündelweise Kerzen, lang und dünn wie erstarrte Fäden,
ein Stapel mit Andachtsbildchen daneben. Einem nach dem andern schaut sie uns
aus wasserhellen Augen ins Gesicht, bevor sie die Anrede Rumens erwidert. Mir
scheint, ihr fehlen Zähne.
Sie
flüstert und zieht Rumen damit automatisch näher heran, bis er sich zu ihr
niederbeugt. Natürlich verstehen wir kein Wort, aber es wird deutlich, dass
Rumen nicht nur aus Höflichkeit zuhört, sondern mit wachsender Neugier.
Wir
treten zurück und sehen uns genauer um. Unsere Verlegenheit ist geschwunden,
wir sondieren mit arbeitsamen Köpfen. Ob wir einem Spektakel auf den Leim
gegangen sind? Neinnein, auch wenn wir uns frecher im Raum bewegen und die
nüchternen Geschäfte der Inspektion beginnen: ein Wundergehäus ist das, kein
Kunstraum. Niemals, nicht im besten Museum der Welt, können Ikonen, und seien
sie noch so gut, solche Wirkung haben wie hier. Ikonen sind gesellig,
aneinandergeklammert wollen sie von den wichtigen Stationen der Testamente
erzählen, flankiert von lokalen Heiligen, die beim Zeigen helfen, Pergamente
entrollen und Schutz versprechen.
Jetzt
erkenne ich endlich, was andere immer schon wussten: Ikonen sind nur dann in
ihre Rechte gesetzt, wenn sie aus einem geweihten Raum hervorleuchten, aber nur
kurz, dann bitten sie um Rückversetzung ins Dunkel und verschwinden darin so
geheim wie gekommen. Nur zögernd, im Hervor und Wieder-Weg kann sich an ihrer
gemalten Haut etwas entzünden, im Glücksfall jenes unerschaffene Licht, das als
Sendelicht auf den Betrachter trifft, mal spärlich, mal festlich reflektierend
der Kerzen und Lämpchen Zitterlichter.
Darüber
ist mit meiner Schwester schwer zu reden. Ihr weiches, gutmütiges Herz sitzt im
Stahlgehäus des protestantischen Atheismus fest. Bilder nimmt sie
grundsätzlich für Kunst, je nach Wert hoch oder niedrig einzuschätzen. Bilder
gehören ins Museum, sonst werden sie gestohlen. Was Menschenfinger
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