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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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der Stuttgarter Bulgarenkinder wurden
warm vom Telefonieren, als Tabakoff mit seiner Idee herausrückte. Leute, die
sich nur noch dem Namen nach kannten und seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen
hatten, begannen rund um den Erdball sich zu ereifern. Die wenigsten von ihnen
waren in Stuttgart geblieben. Tabakoff hat's in Amerika erwischt, erzählten
sich die schwäbischen Bulgarenwitwen, sofern sie nicht schon neben ihren Männern
auf dem Friedhof lagen. Wer ist dieser Schwachkopf, kennst du den überhaupt?
fragten sich Kinder und Kindeskinder. Der kleine Aufruhr schwappte nach
Frankfurt, Mannheim, Berlin, Kopenhagen, ins Allgäu, nach Mexiko und
Cincinnati.
    Wer
von Angesicht zu Angesicht mit Tabakoff sprach, gewann keinesfalls den
Eindruck, er habe es mit einem schwachköpfigen Alten zu tun. Im Gegenteil.
Tabakoff wirkte frisch, nüchtern, geradeheraus. Er führte keine verworrenen
Reden, abgesehen von der leicht erklärlichen Besonderheit, dass ihm regelmäßig
englische Wörter in sein Deutsch rutschten. Er war braungebrannt, von sehniger
Beweglichkeit, dürstete nach Taten, die er in präzisen Skizzen entwarf. Sein
inzwischen kahler Schädel glühte vor Energie. Die Idee schien ihn beängstigend
jung zu erhalten.
    Pompös,
größenwahnsinnig, grotesk. Was wollte der Mann?
    Seine
Kumpane von einst heimholen. Alle neunzehn. Ihretwegen hatte er das
meerumrauschte Florida verlassen und war in sein altes Stuttgarter Haus
zurückgekehrt, das er früher mit Pudel, Frau und Kind, hundertdreißig Paar
Damenschuhen und fünfzig verschiedenen Nagellacksorten bewohnt hatte.
    Heimholen,
das meinte Tabakoff wörtlich. Verstreut lagen die Bulgaren, mal als relativ
frische Leichen, mal als uralte, auf den Stuttgarter Friedhöfen herum und
warteten offenbar auf nichts anderes, als dass Tabakoff sich ihrer annehme.
Er, der letzte vom Stuttgarter Bulgarenverein, war gekommen, ihre Reste
einzusammeln, um sie nach Sofia zu überführen. In einem würdevollen
Limousinenkorso, versteht sich, wo am Ende eine orthodoxe First-Class-Bestattung
auf sie wartete.
    Die
Idee war so beknackt, dass die Leute sich auf den Arm genommen fühlten.
    Meine
Schwester, die extra von Frankfurt nach Stuttgart gefahren war, um Tabakoff zu
treffen, muss gerochen haben, dass sich aus dieser Schnapsidee ungeahnte Dinge
entwickeln würden. Zunächst benahm sie sich wahrscheinlich so abweisend wie
alle anderen. Dann machte sie pietätvolle Gründe geltend. Ausgerechnet meine
Schwester! Die das Grab unserer Eltern kein einziges Mal besucht hat. Der das
Jenseits ungefähr soviel zu denken gibt wie einer Ratte der Mond.
    Indem
sie behauptete, ich sei in Frankreich unterwegs, sorgte sie schlauerweise
dafür, dass Tabakoff darauf verzichtete, direkt mit mir in Kontakt zu treten.
Meine Schwester weiß, dass mich abenteuerliche Ideen reizen und ich dem
Spinner allein aus Neugier meine Zustimmung erteilt hätte. Sie aber zierte sich
beharrlich, sprach von der heiligen Schlafstatt der Toten und wie beruhigend
es für uns sei, das Grab unserer Eltern in Reichweite zu wissen. Bis Tabakoff
endlich mit einem Angebot über den Tisch kam. Ein bescheidenes zunächst:
zehntausend Euro für ihre Zustimmung. Nun, ich war ja nicht dabei - aber meine
Schwester muss die Ziererei geschickt betrieben haben, denn sie schaffte es,
Tabakoff auf achtzigtausend hochzuhandeln.
    Dann
der Verhandlungsknick. Tabakoff warf den Selbstmord in die Debatte. Ein
kostspieliger Sonderfall. Käme die Überführung in Gang, würden die
geschwätzigen Bulgaren auch in Sofia plaudern. Scherereien ohne Ende sah er auf
sich zukommen, eine Stange Geld würde es ihn kosten, bis er die Popen davon
überzeugt hätte, einen Selbstmörder in geweihter Erde unterzubringen. Es nützte
nichts, dass meine Schwester ihm das Trauma ausmalte, welches ein Ausbuddeln
der Leiche, gerade weil es Selbstmord war, bei ihrer kleinen Schwester
hervorrufen würde.
    Von
dem Geld könnten wir uns einen erstklassigen Traumaspezialisten leisten,
erwiderte Tabakoff kühl, und es bliebe noch eine Menge übrig. Sie einigten sich
auf siebzigtausend, unter der Bedingung, dass meine Schwester keinem von dem
Handel erzählte. Sie rief mich noch am selben Abend an.
    Später
sollte sich zeigen, dass Tabakoff auch anderen Nachkommen ihre Entscheidung
finanziell versüßt hatte. Aber niemand hat auch nur annähernd soviel aus ihm
herausgeholt wie meine Schwester. Was zunächst alle dachten, erwies sich als
falsch. Tabakoff war weder einer

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