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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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orthodoxen Anwandlung erlegen noch dem
Patriotismus verfallen. Zumindest waren dies nicht die eigentlichen
Triebfedern. Sein Projekt hatte zur Grundlage, dass alles sauber,
trocken und geruchsfrei vonstatten gehen müsse,
womit sich für ihn eine erstklassige Geschäftsidee verband. Patriotismus und Orthodoxie,
sie traten eher als schmückendes Beiwerk hinzu.
    Ihm
war ein alter Bekannter über den Weg gelaufen, der einst in einem Nebengebäude
der Akademie für Wissenschaften in Sofia an einem geheimen Projekt gearbeitet
hatte: Mumifizierung von Nahrungsmitteln. Erdbeeren, die wie frische rote
Früchte aussahen, aber zu Staub zerfielen, sobald man sie zwischen die Finger
nahm. Die Bulgaren lieferten den Russen solche Nahrungsmittel, die sie mit
Hilfe der Kryotechnik in einen flüssigkeitsfreien Zustand versetzt hatten, ohne
ihnen den Geschmack zu rauben. Kryotechnische Karotten, Tomaten, Pfirsiche,
Hühnerbrüste flogen portionsweise ins All und verschwanden in den Mägen
russischer Raumfahrer, die vergeblich Ausschau hielten nach der Seele Lenins
und allmählich verrückt wurden, weil ihnen der Wodka fehlte und sich die
himmlischen Revolutionäre ihren Blicken beharrlich entzogen.
    Blagowest
Kondow arbeitete inzwischen für eine schwedische Bestattungsfirma, die über
eine raffinierte Methode in Sachen Menschenbeseitigung verfügte. Die Kryotechnik
war nicht nur auf Nahrungsmittel anwendbar, mit ihrer Hilfe konnte auch ein
Leichnam in Teilchen zerlegt werden, kaum größer als Reiskörner. Ökologisch
korrekt, selbstverständlich. Ohne dass Verbrennungsöfen angeworfen werden
mußten, vor denen es manchen Leuten mulmig wird, auch wenn sie lieber nicht
wissen wollen warum.
    Die
Schweden gingen systematisch, sauber und modern vor, beinahe gelang es ihnen,
das Unheimliche zu verscheuchen. Waren noch ganze Leichen vorhanden, wurden
diese erst bei minus achtzehn Grad eingefroren, dann samt ihren Särgen in ein
Tauchbad aus flüssigem Stickstoff gesenkt. Und nun kam das Abenteuerliche
daran, die eigentliche Neuerung: was bisher standhaft die Form gewahrt hatte,
wurde auf eine Vibrationsfläche gesetzt und durch sanftes Rütteln dazu
gebracht, in millimetergroße Teile zu zerfallen. Die Reste an Zahngold, Kupfer
oder Eisen, die noch drin waren, wurden entzogen. Zurück blieb ein wenige Kilogramm
schwerer Rest, der einer platzsparenden Bestattung zugeführt werden konnte.
    Eine
moderne Methode, die viele Probleme auf einen Schlag löste. Noch standen ihr
die in den meisten Ländern üblichen Bestattungsrichtlinien entgegen, aber das
würde sich bald ändern. Tabakoff hatte sich vorgenommen, in Bulgarien, dem
einstigen Pionierland der Kryotechnik, damit anzufangen, und zwar mit Hilfe der
Schweden. Als Fähnlein vorneweg und gleichzeitig als Krönung des Unternehmens
würden seine alten Stuttgarter Kumpane in den Genuss der neuen Methode kommen.
    Am
verrücktesten war, dass Tabakoff es fertigbrachte, seinen Plan Zug um Zug in
die Wirklichkeit zu überführen, noch die kleinsten Details schafften es
dorthin. So gingen denn die Stuttgarter Bulgarenkinder zusammen auf eine
Trauerreise der besonderen Art. Sie endete letzten Sonntag in Sofia,
allerdings nicht für meine Schwester und mich, weil wir uns entschlossen haben,
einige Tage zusätzlich im Land zu verbringen.
    Da
sind wir nun, Rumen, sie und ich.
    Sauber,
trocken und geruchsfrei. Das Verfahren hätte auch in Schwaben erfunden werden
können. Effizient war's gewiss, aber im Falle unseres Vaters wirkte es, als
wolle man einen Toten töten, jedenfalls reichlich übertrieben. Er war ja längst
verfault, und sein kryotechnisch behandelter Rest wog leicht. Gestorben mit
dreiundvierzig Jahren als erster vom damaligen Bulgarenverein. Will man seinen
flüchtigen Andeutungen im nachhinein Glauben schenken, so hatte er den
Verdacht, sein Körper werde von geheimnisvollem Geziefer bewimmelt. Auf höheren
Befehl hin handelte es, marschierte, kroch in Kolonnen, schlachtete sich
untereinander ab. Weißliche Gebilde sollen es gewesen sein, fadenförmig
ausgezogen. Mit wachsender Anstrengung suchte der Vater sie aus dem Leib zu
kriegen. Wie fruchtlos diese Anstrengungen waren! Das nützt nichts, dummer
Papa, höre ich meine Schwester rufen, höre ich mich rufen, und ich sehe uns
winken und wedeln, man muss, Papa, ja, man kann, Papa, sogar mit
Ungezieferbefall gemütlich leben. Sich einfach nicht darum kümmern. So leicht
ist das Leben, wenn man's nur lebt.
    Inzwischen
haben sich unsere

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