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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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gemacht
haben, hat für sie keinen Anteil am Zauber des Unerklärlichen. Gold bleibt
Gold, eine wertvolle Materie, die im Licht schön glänzt, aus der aber niemals
unirdische Lichter hervorsprühen und in Seelen hüpfen können.
    Kalt
hier und feucht, sagt meine Schwester, saukalt sogar, ob das den Bildern
schadet? Sie schaut nach oben, als warte sie auf Applaus. Sie ist jetzt lauter
Sorge und Verantwortung, und bei der sonderbaren Raumatmosphäre haben ihre
Augen eine ungeahnte Tiefe.
    Ich
wiegle ab. Schließlich haben die Bilder hier Jahrhunderte gut überdauert.
    Sie
kommt näher und flüstert mir ihre Besorgnisse ins Ohr: der schwarze
Geländewagen unterhalb des Kieswegs, mit den getönten Scheiben. Der Kerl im
schwarzen Lederzeug, der am Kotflügel lehnte, der mit den Blumenkohlohren. Ob
er mir nicht aufgefallen sei? Bestimmt einer von diesen Mafia-Ringern, der das
Terrain erkundet und auf eine Gelegenheit lauert, mit den Ikonen zu
verschwinden. Wie der uns mit seinen Blicken verfolgt habe, das sei unheimlich
gewesen.
    Tja,
sage ich, die sittliche Erneuerung deines lieben Bulgarien lässt auf sich
warten.
    Intensives
Stirngerunzel, welches bedeutet, dass meine Schwester höchst unzufrieden mit
mir ist. Nur ihre Augen sind immer noch kindergroß. Aber dieses ärgerliche Runzelgesicht
hat plötzlich etwas von einem Hasenprofessor, der überlegt, welche Strafarbeit
er seiner Häschenschule aufbrummen soll.
    Wir
könnten etwas Weihrauch gebrauchen, um wieder in Stimmung zu kommen. Im Moment
brennt leider keiner. Wenn Myriaden schwebender, glitzernder Partikel sich im
Raum verteilen, wird die Atmosphäre weich, dann gehen Hirn und Herz vereint auf
große Fahrt und schwimmen in süßem Strom davon. Weihrauch hin, Weihrauch her,
meiner Schwester ist einfach nicht beizubringen, dass es Räume gibt, die den
Menschen einladen, sich zu verwandeln. Hier sind wir in einem Raum, großzügig
wie kaum einer je; aus weiten Lungen zu atmen, vielleicht sogar ein wenig zu
seufzen, sind wir geladen.
    Merkst
du nicht, wie es hier bis in die Atome hinein anders zugeht als in profanen
Räumen, anders als an profaner Luft, worin alles geschieht wie gescheucht?
    Fünf
Minuten vorher, auf der Bank, wurde uns dieselbe Einladung überbracht,
antwortet meine Schwester und will jetzt unbedingt wissen, was der Lederkerl
draußen am Auto macht.
    Ach
der, sage ich, das ist bloß Witiko, der zur Abwechslung mal nicht sein
eisengraues Pferd putzt, sondern einen Geländewagen. Witiko-Scherze verfangen
bei meiner Schwester eigentlich immer, seitdem wir uns vor Jahrzehnten einen
zähen Wettkampf um den Roman lieferten und während des Lesens unentwegt
Begeisterung heuchelten, uns am Telefon sogar mit Witiko-Segenswünschen verabschiedeten,
etwa in der Art von: so genieße heute denn,
was dein Haus vermag oder wie
es eben geschieht, so geschehe es oder so
hat es sich eben gefügt, und nun empfange Gottes Dank -
bis wir endlich unter Gelächter zugaben, dass wir die Abenteuer des ledernen
Ritters öde fanden, sagenhaft öde und weiter nichts.
    Im
Moment verfängt Witiko nicht. Meine Schwester ist immer nur weiter im Rückzug
begriffen mit ihrer grämlich verzogenen Miene.
    Ich
bitte dich, sei nicht so stur, sage ich. Sieh dich um. Bewege dich frei. Stell
dir einen Chor dazu vor. Man braucht dabei nicht auf die offenen Münder der
Sänger zu schauen, was immer ein abwegiger Anblick ist. Der Chor ertönt von
oben, aus dem Verborgenen, ganz wie die Musik himmlischer Sphären, die auch
nie Front macht beim Erklingen. Und dann bitte, lass dir gefallen, wenn frisch
um dich her es wehen will, worin sich ja nichts anderes verbirgt als die schüchterne
Umarmung des Engels.
    Wenn
wir wollten, könnten wir ein melodischeres Leben führen als bisher, toter
Vater, tote Mutter inbegriffen, murmele ich vor mich hin, denn meine Schwester
liebt es nicht, wenn ich auf sie einrede, schon gar nicht im Namen von Engeln.
Sie hat sich inzwischen umgedreht und ist ins Freie gegangen, um nach dem
Ledermann zu sehen. Gemächlich folge ich ihr und finde sie auf unserer Bank.
Wir schweigen wie zwei Feindinnen, die sich zu lange kennen, als dass geredet
werden müsste. Rumen gesellt sich hinzu, gräbt ein zerdrücktes Päckchen aus der
Hosentasche, bietet mir eine Zigarette an und gibt sich und mir Feuer.
    Wenn
ihr wüsstet, sagt er, nimmt einen tiefen Zug und grinst, kaum zu glauben, aber
bitte, ihr glaubt's ja eh nicht. Er lehnt sich zurück und tut nun in allem so,
als könne

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