Lewitscharoff, Sibylle
Eine Bocksfigur weist die angesammelten
Juwelen in einem Beutel vor. Wie nutzlos dieser Beutel jetzt ist. Die
Angehörigen und das Gesinde, prächtig gekleidet wie ihr entseelter Herr,
erkennen mit Schrecken, was da vor ihren Augen geschieht.
Wo
wir nun genauer hinsehen, drängt sich mir mehr und mehr der Verdacht auf, dass
mit dem Reichen vielleicht Tabakoff gemeint sein könnte, obwohl das nicht gut
möglich ist, da Tabakoff am Sonntagmorgen beim Frühstück noch eifrig schwatzend
zwischen uns herumlief. Sieh mal, sage ich zu meiner Schwester und weise sie
auf die Ähnlichkeit hin. Sie blickt mich mit einem amüsierten Stirnrunzeln an,
widerspricht aber nicht.
Auch
die Angehörigen wollen mir allmählich bekannt vorkommen. Sie sind üppiger
gekleidet und tragen andere Frisuren als der Stuttgarter Bulgarenanhang, wie
ich ihn aus den sechziger, siebziger, achtziger Jahren in Erinnerung habe. Aber
hier wird ja zeitanders gedacht. Anders, als wir es gewohnt sind, sind Gestern,
Morgen, Heute immerwährend darin begriffen, die Plätze zu tauschen. Gut
möglich, dass meine Schwester und ich hier längst erfasst sind, obwohl wir uns
noch viel zu blut- und drangvoll fühlen, als dass wir schon Abbild sein
könnten.
Die
Frau von Tabakoff zum Beispiel, Lilo, führt den Reigen der Bestürzten an,
natürlich nicht mit ihren lackierten Fingernägeln und den
Marilyn-Monroe-Locken, sondern in einem bestickten grüngoldenen Umhang, der das
Haar bedeckt. Und da, die Kleine mit dem grimmigen Gesicht, das könnte die
schreckliche Tochter sein, sogar der komische Pudel springt rechts hinter
einer Säule hervor. Von der übrigen Stuttgarter Bulgarenschar sind noch mindestens
zwei dabei - aber ja, Schwester, sieh mal, das ist Zankoff, unzweifelhaft
Zankoff, der Bordellbesitzer, und neben ihm sein Freund Gantscheff, Pächter
eines Autohauses am Olgaeck. Nur unser Vater fehlt, und unsere Mutter
ebenfalls, vielleicht, weil sie Tabakoff nie gehuldigt haben, seinen Reichtum
eher mit einem Achselzucken quittierten, als dass sie ihn darum beneidet
hätten. Vielleicht aber fehlen sie, weil sie aus uns unbekannten Gründen
überhaupt nicht in ein Heiligtum gehören.
Seht,
was für ein Tag, an dem uns die Stuttgarter Bulgaren samt Frauen und Kindern
erscheinen, nur Vater und Mutter lassen sich nicht blicken.
Der
schwarze Geländewagen ist ebenfalls verschwunden, niemand hat ihn wegfahren
sehen. Vom Ledermann keine Spur. So gründlich und absolut ist dieser Wagen weg,
als wäre er nie da gewesen. So strotzend, schmatzend, kräftig grün ist diese
Wiese, als würde sie alles, was nicht Wiese ist, im Nu verschlingen und zu
Wiese machen.
Wenden
wir, sagt meine Schwester, und fahren ihm nach. Rumen versteht nicht, wovon sie
spricht, da er den Wagen vorhin nicht bemerkt hat.
Gärten
Wir haben den Daihatsu mitten in Arbanassi geparkt. Schon
beginnt, was wir gerade erlebt haben, ins Unwirkliche sich zu verabschieden.
Nach zwei vergeblichen Versuchen haben wir ein Gasthaus gefunden, auf dessen
Gartenterrasse man uns willkommen heißt. Da die Mittagsküche schon geschlossen
ist, werden wir gewarnt, es könne mit dem Essen dauern. Meine Schwester
beschließt, den Laden nebenan zu besuchen, Rumen ist im Inneren des Lokals
verschwunden, wahrscheinlich, um die Kellnerin auf einen Schwatz zu verhaften.
Die
Terrasse ruht auf dem rückwärtigen Gebäudeteil, scheint aber über einem Tal zu
schweben. Kühle Schatten haben das Tal gefüllt und lassen mich frösteln, ich
ziehe die Jacke meiner Schwester vom Stuhl, die sie akkurat, wie von unserer
Mutter befohlen, über die Lehne gehängt hat. Mit eingezogenem Hals und kalten
Fingern sitze ich da und lasse eine winzige Spinne über meinen Ärmel kriechen.
Schaue
ich über die Spinne hinaus ins Weite, ist der Anblick ein recht lieblicher und
geordneter - mäßig hohe, umwaldete Hügel mit stummen steinernen Köpfen, grüne
Felder, Wege, die sich fortschlängeln wie auf mittelalterlichen Tafelbildern.
Beim Hinuntersehen zeigt sich ein Gewurstel. Zerfallende Holzschuppen, rostige
Wassertanks, Plastikplanen, in Büschen versunkene Schrottautos, Kübel, aus
denen verdorrte Stengel ragen, zerbeulte Kannen, eine Werkbank mit Säge,
zerbrochene Spaliere, umhergeworfene und dann vergessene Spielzeuge, eine
Hütte, in der vielleicht Kaninchen wohnen. Dahinter öffnet sich das Grundstück
eines reichen Nachbarn. Dort ist alles freigeräumt, der Garten frisch
bepflanzt, das wuchtige alte Natursteinhaus mit den
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