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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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eine derart unglaubliche Geschichte bloß den Mücken erzählt werden.
Folgsam wenden wir uns ihm zu. Los, erzähle. Unsere Blusen knittern zart, und
die Augen blinzeln lustig, um den alten Geheimniskrämer zu erweichen.
    Rumen
behauptet, das sei eine Geschichte nur für Bulgaren, für Protobulgaren.
    Bulgaren-Bulgaren
?
    Rumen
lächelt verschmitzt und droht mit dem Finger. Eigentlich darf uns die
Geschichte gar nicht erzählt werden, weil wir nicht in echten bulgarischen
Wiegen geschaukelt wurden und nicht mit reinen Ohren zu hören wissen.
Enttäuscht wenden wir uns ab.
    Aber
Rumen lässt nicht locker und kommt langsam in Fahrt. Er spricht von einer
schlimmen Zeit, in der das Bulgarentum in den letzten Zügen lag. (Wir stellen
uns das Bulgarentum wie welke Blumen vor.) Damals gab es in der Nähe schon ein
Kloster, doch es wurde von den Tataren niedergebrannt. (Wir stellen uns eine
trampelnde Horde von Wüstlingen vor.)
    Inmitten
des allgemeinen Unglücks lebte ein Mönch, der alles kommen sah. Ein zäher,
unbeirrbarer Einsiedler, der in einer Hütte neben dem Kloster wohnte und sich
von Brotkrümeln ernährte, hin und wieder von einem Stück Schafskäse. (Wir
stellen uns einen Irrsinnigen vor mit verwildertem Bart, einen Pater Ferapont
mit krächzender Stimme, der überall Teufel sieht.) Die wichtigste Ikone wurde
von ihm aus dem Ikonostas gebrochen und vergraben, und zwar wenige Tage, bevor
das Kloster in Flammen aufging. (Wir sehen ein Tatarenfeuer über ganz Bulgarien
lodern.)
    Du
siehst, sage ich zu meiner Schwester, das Ikonen-aus-der-Wand-Brechen ist eine
alte bulgarische Tradition, die heute von der Mafia bloß fortgeführt wird.
    Rumen
erzählt weiter vom Mönch, der mit all seinen Brüdern umgebracht wurde. Genau
auf den Tag zweihundert Jahre später ging ein Bauer übers Feld und hörte eine
Stimme.
    Rumen
beugt sich nieder und lässt die Finger mitsamt Zigarette etwas vom Boden
aufwehen, wobei er von schräg unten zu uns aufsieht.
    Mach
schon, Dummkopf, grab mich aus! schimpft er mit der Stimme dessen, was da im
Boden vergraben liegt.
    Der
Bauer erschrickt, fasst endlich Mut und fängt an zu graben. Beim Wühlen stößt
er auf eine schwarze, rundum - Rumen sucht nach dem Wort Pech, wir finden es -
auf eine rundum schwarz eingeschmierte Kiste. Aus der Kiste schimpft's und
schimpft's; der Bauer trägt sie mit zitternden Händen nach Hause. Dort nimmt
er eine Zange und zieht die Nägel aus dem Deckel. Zum Vorschein kommt ein
besticktes Tuch und, als er es aufgeschlagen hat, der Erzengel Michael. Dem
übrigens das Schimpfen vergangen sei, als er ausgewickelt auf dem Tisch gelegen
habe. Als frommer Bulgare wusste der Bauer, was zu tun war, und übergab den
Schatz einem Geistlichen. Genau an der Stelle, wo er die Kiste gefunden hatte,
wurde das Kloster wieder aufgebaut. Und jetzt hängt der Erzengel Michael darin,
die schönste Ikone von allen.
    Wir
schauen mit offenen Augen zum Himmel und kommen uns dumm vor. Kann es sein, dass
Winde sich erheben und uns von allen Seiten in die Haare greifen? Den Engel
haben wir übersehen.
    Wir
rauchen noch zu Ende, ich stelle mir dabei den Erzengel vor. Mit großen
Flügeln kommt er herabgeflogen und fasst nach seinem Schwert. Von der
benachbarten Bank gleitet der Schatten unseres Vaters. Wir gehen im
Gänsemarsch zurück in die Kirche. Rumen kauft der Nonne mehrere Kerzen ab, die
er in dem eisernen Ständer vor der Ikonenwand anzündet, damit uns der Engel
erscheinen kann.

Wie
konnten wir ihn bloß übersehen!
    Fest
steht er auf dem Körper eines Reichen. Mit goldenen Beinschienen, goldenem
Brustpanzer, von dem es in Rot, Violett, Rosa nur so funkensprüht und von
bänderartigen Zipfeln gleißt, den roten Umhang dramatisch gewellt, ein blaues
Tuch um die makellosen Schenkel geschlungen, steht er mit beiden goldenen
Füßen auf dem Reichen. Zwar sind seine Flügel nicht so imposant, wie ich mir
das gedacht habe, dafür entschädigt das Schwert. Ein Prachtschwert. Mit dem
auch wir jeden köpfen könnten, der uns in die Quere kommt. Er hält es in der
Rechten, von hoch oben gezückt, um es mit desto größerem Schwung in den
Verworfenen stoßen zu können. In der Linken hält er die frisch entflohene Seele
des bereits Halbtoten am Schopf - ein winzignacktes Männlein mit längerem Haar.
    Zwei
Teufel sind schon bestrebt, den Körper an langen eisernen Haken von seinem
Prunkbett herabzureißen, um mit ihrer Beute alsbald in der Tiefe einer
glutroten Hölle zu verschwinden.

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