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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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hölzernen Balkonen
renoviert. Und blau, zum Hineinfallen blau das nierenförmige Becken eines
Pools, an dessen Einfassung noch gearbeitet wird.
    Ich
vermisse plötzlich weißblau gestreifte Markisen. Unser kleiner Balkon in
Degerloch, der ebenfalls nach hinten in die Gärten hineinschwebte, war davon eingefasst.
Wenn man dort oben saß, zeigte sich eine verwirrende Vielfalt - keinesfalls
leicht zu begreifen, wie Menschen im Umkreis weniger hundert Quadratmeter so
verschieden leben konnten. Zur Linken ein Kleingärtner und Autobastier mit
allerhand Gerätschaften in und neben der Garage, ebenfalls ein Gewurstel, wenn
auch kein bulgarisches, sondern ein überlegtes, schwäbisch hartnäckiges. Die
schnurgeraden Beete waren mit Holzwolle eingesäumt, winters lag Mist drauf.
Alle ausladenden Aste des Birnbaums waren mit Stützen versehen; sommers hing er
schwer auf seinen Krücken, im Winter behauptete er eisern und starr seinen
Platz. Als viel-armiger Greis, der in einer drohenden Bewegung hin und her
schwang und den Schnee von sich schüttelte, plötzlich rennen konnte und die
Stöcke hob, geisterte er durch meine Träume.
    Direkt
gegenüber rieselten Trauerweiden auf ein Gartenhäuschen nieder, ein raffiniert
angelegter Steingarten mit asketischen Pflanzen, die aus Ritzen sprossen und
die man sonst nicht in Degerloch sah, kroch in Windungen zum Haus hinauf.
Daneben wuchs eine riesige Tanne, die im Sturm rauschte, als unterhalte sie
sich mit ihren Schwestern im Schwarzwald. Ein Kiesweg umlief den tadellosen Rasenfleck,
auf dem im Sommer Korbstühle und Korbtische standen, Gäste mit den Kaffeetassen
klapperten. Es war das Herrschaftsgebiet von Schnüff, einem schwarzen Kater mit
dem lässigen Gebaren eines Löwen, zu dem unser Dackel in knechtischer Beziehung
stand, da er sich gleich auf den Rücken geworfen hatte, als Schnüff zum ersten
Mal gekommen war, ihn zu begutachten.
    Allein
die Gartenhäuschen auf den drei Grundstücken hätten unterschiedlicher kaum sein
können. Beim Nachbarn zur Linken eine Zweckhütte für Werkzeug, bei uns ein
filigranes Gebilde aus dünnen schwarzen Asten mit umlaufender Bank, bemoost
und feucht und leer bis auf die feinen Netze in den Ecken. In ihrer Nähe
warteten schwarze Spinnen, ihre Körper vielleicht nur erbsengroß, in unserer
kindlichen Vorstellung aber so groß wie Handteller, weshalb wir das Häuschen
mieden. Beim anderen Nachbarn stand ein schickes Ding auf Stelzen, bedeckt von
einem nach vorne zu leicht hochgebogenen Flachdach, die Innenwände waren mit
einem wetterfesten Bast verkleidet. Darin hing als einziger Schmuck ein Mosaik,
das einen griechischen Flötenbläser vorstellte, schwingenden Schritts zwar,
aber die Bewegung gebremst durch eine Linienführung, wie man sie in den Fünfziger
Jahren schätzte, gebremst auch durch die Schüchternheit der Farben Ocker,
Blaßgrün, Grau, versetzt mit einem schwächlichen Rostrot.
    Hinter
dem Steingarten, angesichts eines Grundstücks, das nicht mehr an unseres
grenzte, konnte man glauben, der Krieg sei noch nicht zu Ende: Wellblech und
ein hoher Maschendraht, um den Schuppen und das karge Auslaufgebiet für
Hühner und Kaninchen zu schützen, auf die Schnüff und Schnacks nur zu gern
gemeinsam die Jagd eröffnet hätten.
    Solange
es unserem Vater gutging, wetteiferten meine Schwester und ich darin, ihm
abends von den Abenteuern des ungleichen Paares zu erzählen. Dass sie gemeinsam
durch die beiden Gärten ihrer Besitzer strichen, der Kater würdevoll und
gemessen, der Dackel eifrig, mit fliegenden Ohren, gehörte zum Alltag. Alle
paar Tage wiederholte sich ein seltsames Schauspiel. Schnüff nahm auf einem
Pfosten Platz und starrte nach unten. Schnacks näherte sich vorsichtig, den
Bauch am Boden wie eine Robbe. Am Fuße des Pfostens blieb er ergeben liegen,
wagte kurz aufzusehen und senkte gleich wieder den Blick, nur das Zucken seiner
Ohren deutete an, dass er mit wachen Sinnen dalag. Auf dem Pfosten, das sei
Stalin, erklärte unser Vater mit unheimlichem Vergnügen, verschränkte die Arme
und machte sein undurchdringliches Stalingesicht. Wir mussten ihn kitzeln, bis
er die Krallen ausfuhr und einen russischen Fluch zischte, wir quietschend
auseinandersprangen.
    Ein
kleines Zackenphoto zeigt den Vater auf dem Geländer unseres Balkons sitzend,
tatendurstig, jung, schlank, mit blitzenden Augen und einem sieghaften Lächeln.
Keine Spur von Schwermut um sein Haupt. Nichts und niemand kann ihm etwas
anhaben. Zweifellos, er sieht

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