Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
Vom Netzwerk:
wurde Boris
als Reichseiniger gefeiert. Außerdem galt sein Regierungsstil für weniger
despotisch als der seiner Vorgänger. Aus Anlass seines Begräbnisses war in
Sofia mehr Volk auf den Beinen als je zuvor. Unter ihnen Tabakoff.
    In
Gedichten wird der große Trauertag besungen. Das Volk weinte, selbst der Himmel
verschleierte sich und vergoss Tränen, bittere Tropfen fielen auf den Sarg des
geliebten Königs, der sein ins Unglück trudelndes Land nicht mehr beschützen
konnte.
    Tabakoff
hat uns eines dieser Gedichte auswendig vorgetragen, und seine Augen glänzten
dabei vor Rührung, und sein ausgestreckter Arm griff in die Luft, und die
Finger seiner Hand öffneten sich, als wäre ihnen gerade ein Zipfel entglitten,
vom Mantel des längst ins Mythische entrückten Zaren.
    Eine
komplette Ornamentierung der beiden Flaggschiff-Limousinen, das fand Tabakoff
wohl übertrieben, deshalb ließ er's bei einer Spezialanfertigung der Dächer
bewenden, jener Deckel eben, bei deren Anblick - kaum hatten wir uns von der
Überraschung erholt - die Lästerzungen loslegten. Meine übrigens nicht, mir
war das Unterfangen ja von Anfang an sympathisch.
    Sympathisch, eigentlich wäre jetzt der Moment gekommen, das Kissen
aufzuklopfen, die ideale Position zu finden und auf Schlummersuche zu gehen, sympathisch, so ein schönes liebes Wort wäre doch ideal, um es mit
hinüberzunehmen, oder besser ein eher unbestimmtes Tralala- und Melodiewort? -
Nein, sympathisch ist in Ordnung, warum nicht sympathisch, das gleitet über
alles Wüste hinweg, sympathisches Bulgarien, sympathischer Rumen, sympathische
Schwester, sympathischer Dimitroff, Schiwkow, Zankoff, und wer weiß noch alles
-
    Nein,
es klappt nicht, meine Knochen sind - wie ich mich drehe und wende, irgendwo
liegt ein Knochen ungut auf, ich komme einfach nicht in den Schlaf mit derart
falsch sortierten Knochen. Was hilft's - Licht an, Buch her. Lieber mit Koba
lachen als die eigenen Knochen spüren.
    In
der Ferne heulen die verlassenen Hunde, und jeder ihrer Laute klingt so, als
wäre die gefährlichste Stunde des Weltalls gekommen, die Zeit der Ohnmacht und
Verletzlichkeit, und nur noch einzelne Unglückliche sind wach oder einzelne
Entzückte, wie ich eine bin. Verzweifelte Lichter einzelner Lampen in der
stockdunklen bulgarischen Nacht, die früher mit den langen Nächten Stalins
zusammengeflossen war, in denen Stalins ebenbildliche Häscher und Folterer an
die Türen geklopft hatten.
    Erwartet
Tag und Nacht das Gericht, hatte die schwäbische Großmutter uns eingeschärft,
sonst überrascht es euch, und ihr seid nicht genügend vorbereitet. Aber das
Gericht, auf das die fromme Großmutter wartete, war ein harmloses, ein freudig
lossprechendes, jedenfalls nicht das Knochengericht Stalins. Allein die
Sanftmut, mit der sie uns über die Köpfe strich, wenn sie solche Reden führte,
bewies, dass wir nichts Schlimmes zu befürchten hatten.
    Bei
der ersten Verhaftung produziere die Körperchemie eine plötzliche Erwärmung - man
brennt, man kocht, so Amis, der hier
Solschenizyn hinterherschreibt.
    Mir
ist kalt, und dieser Text ist wahrlich keine Schlafhilfe, also Buch weg, Licht
aus.
    Schwarz.
    Unsere
Kolonne am hellichten Tag eine Ausgeburt der Nacht. Wenn es Nacht wurde,
verschwand sie in der Garage eines großen Luxushotels oder im Bauch einer
Fähre, bei Tag rollte sie wieder heraus. In die beiden vorderen Limousinen
konnte man nicht hineinsehen. Ihre Scheiben waren geschwärzt. Aus gutem Grund.
Auf den Ladeflächen ging es weniger verschnörkelt, weniger ebenhölzern und kupferbeschlagen
zu, als zu erwarten gewesen war - eher wie in einer Behelfshalle, die eine
Delegation des UN-Tribunals bei Srebrenica in Betrieb genommen hat. Auf simplen
hölzernen Gestellen, unter Luftabschluss in schwarzes Plastik verpackt, wurden
die Reste der Verstorbenen transportiert, manche Säcke ganz schlaff, manche
gefüllt. Obenauf war allen ein Täschchen angeschweißt mit transparentem Feld,
um den nötigen Papierkram einzustecken. Den meisten Angehörigen, die sich dazu
entschlossen hatten, die Reise mitzumachen, blieb dieser Anblick verborgen.
    Insgesamt
dreizehn Fahrzeuge also. Man startete von Degerloch aus, weil die meisten Bulgaren
in Degerloch und Sillenbuch gewohnt hatten und es von da aus nicht weit bis zur
Autobahn war. Allein den Platz mit den Behörden auszuhandeln, von wo aus der
Konvoi losfahren durfte, war kein einfaches Unterfangen gewesen. Man einigte
sich auf den weiten Vorplatz

Weitere Kostenlose Bücher