Lewitscharoff, Sibylle
mir
inzwischen sicher. Tabakoff hat uns allen gezeigt, was es heißt, zu überleben;
lässig hat er uns demonstriert, was ein mickriger Bulgare auf eigene Faust
zuwege bringt, auch wenn es dafür historische Vorbilder in Hülle und Fülle
gibt.
Wäre
Tabakoff ein historisch oder literarisch interessierter Mensch (was er nicht
ist), so wären ihm für seinen Plan zwei Vorbilder in den Sinn gekommen: die
Leichenzüge der über ganz Europa verstreuten Verwandten, die Philipp II. in
den Escorial überführen ließ, und der Transport von Görings erster Frau Carin
von Schweden nach Carinhall.
Schwarze
Züge quer durch Europa, Hufschläge, knarrende Räder, Staubfahnen am Horizont,
Schweißgeruch der aufgeputzten Rappen, Bauern mit abgezogenen Mützen am
Wegesrand, Ausrufer auf den Türmen, schwingende Klöppel, Geläut, Honoratioren
in schwarzsamtenen Wämsern und goldenen Ketten am Stadttor; dreihundert Jahre
später dann Motorengebrumm, Fackelzüge, Fahnengeleit, Eskorten von
Uniformierten mit erhobenem Arm, hochgestellte Kränze, entschlossenes Armrecken
der Bürgermeister, sonore Stimmen aus dem Radio, die von unerschütterlicher
Treue als einer Tugend des Nordens kündeten.
Tot
alle, weit toter als gedacht, toter als verkündet und beschworen.
Der
von uns so lange übersehene Tabakoff, dieser eigensinnige Mann, dachte sich
seinen persönlichen Totenfahrplan aus, wie gewohnt ging er dabei auf eigene
Rechnung vor. Es bereitete ihm Vergnügen, alles bis in die kleinste Verzweigung
hinein selbst auszuarbeiten. Er bestimmte die Reiseroute, bestimmte die Hotels,
die den Tross beherbergen sollten, verhandelte mit Besitzern von
Limousinenflotten, verhandelte mit den Behörden in Stuttgart - und schon
wieder befällt mich ein Kichern: allein die Vorstellung, wie Tabakoff ins
Innere der Stuttgarter Staatskanzlei vordringt, wo er auf den mit spitzen
Milchzähnen bewehrten Ministerpräsidenten trifft und den Hochmütigen
allmählich in ein zutrauliches Hündchen verwandelt, macht, dass ich mich
zappelnd auf die andere Seite werfe. Ruhig Blut, dumme Nuss.
Und
bitte geordnet weiter mit Tabakoff, denn das waren ja noch längst nicht alle
seine Heldentaten. Er verhandelte mit dem Metropoliten in Sofia, einem ernsten
Mann, dem aber mit einer wuchtigen Spende schnell beizukommen war, er sprach
mit mehreren Popen, bestimmte den Friedhof, die Gebinde, das Lokal für den
Leichenschmaus, natürlich auch das Grabmonument, das nach seinen krakeligen
Skizzen aufgeführt werden musste. Wobei ihm die Unfähigkeit der Maurer und
Steinmetze den kräftigsten Widerstand entgegensetzte.
Ha!
Mit
den Bürokraten hatte unser Mann leichtes Spiel gehabt, quer durch alle
beteiligten fünf Länder - mit den bulgarischen Handwerkern nicht. Zwischen
Wutanfall und Wutanfall kam die Arbeit nur schleppend voran, Tabakoff zwang die
Leute dazu, das Ding wieder abzureißen, mehrfach, nur das Betonfundament im
Boden durfte bleiben wie ursprünglich gegossen.
Der
Clou des Monuments bestand darin: wenn am Tage der Auferstehung die
Stuttgarter Bulgaren gemeinsam aus ihren Urnenhäuschen flögen, würden sie als
erstes den Schneegipfel des Vitoscha-Gebirges erblicken. Tabakoff stellte sich
die Sache unbedingt mit Schnee vor, obwohl es auf dem Vitoscha inzwischen
selten schneit, in Zukunft womöglich überhaupt nicht mehr.
Und
noch eins: da sich bei Tabakoff immer schon alles um Amerika gedreht hatte, war
in seine religiösen Vorstellungen ein tröstlicher Kinderglaube gezogen, in dem
es so rosa und hellblau zuging wie auf seinen Hollywoodschaukeln, nicht düster
und streng wie in dem orthodoxen Milieu, in dem er aufgewachsen war. Beim
Nachtmahl im Principe di Savoia ließ
uns seine rostige Stimme wissen, wie er sich die Auferstehung dachte: in einem
fliegenden Wusch. Zarte Wolken am Himmel. Gott wartet in einem rosa Gewand. Die
Türchen würden aufspringen, die Deckel der Urnen ebenso, und was darin noch an
Krümeln sein mochte, würde herausfliegen und sich dabei in neue, leichte Leiber
verwandeln. Er selbst natürlich mit von der Partie - bis dahin wäre er ja
längst tot -, aber nicht nur das: er würde der Mannschaft vorausfliegen, sie
waren seine Flugschüler, er ihr Kapitän.
Stalin
hatte Schiss vorm Fliegen. Er flog ein einziges Mal, eskortiert von sieben
Jagdbombern, in den Sessel gekrampft und kreidebleich.
Auf
die andere Seite, diesmal ohne Gekicher.
Halten
wir fest, Tabakoff war in Sachen toter Gebeine, deren Reisen in der
Vergangenheit
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