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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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schössen - diese ausgelassene Rasselbande im grünen Salon
warf souverän über den Haufen, was an Tugenden für sie ersonnen worden war.
Die Mutter quittierte es mit Steifheit. Wäre sie schwarzhäuptig gewesen und
hätte eine Mantilla mit Spitzenschleier getragen, hätte sie in Fellinis Casanova mitwirken können: als eine der mit keiner Wimper zuckenden
spanischen Damen, die vor dem obszönen Theatertreiben der salamandrischen,
zungenschlängelnden Italiener erstarren. Mutter und Töchter, wir hockten da
wie die pietistischen Säulen.
    Anders
der Vater. Er alberte herum wie ein Schulbub, wurde frei, wie wir ihn nie zuvor
erlebt hatten. Als man ihm die Aufgabe übertrug, ein Mauerblümchen vorzustellen,
spielte er dieses Blümchen mit einem derart hinreißenden Charme, dass allseits
heftig applaudiert wurde, wir drei ausgenommen. Seine Hände bezeichneten
pantomimisch die Mauersteine, danach einen Blumentopf mit vielleicht einer
Tulpe darin, dann zog er einen Stuhl heran und ließ sich anstelle der Mauer
darauf nieder, schloss die Knie, machte unbeholfene Knickbewegungen mit den
Beinen, drückte das Fäustchen vor den Mund, seufzte, warf verschämte Blicke
nach allen Seiten, kicherte - kurz, er sprudelte vor Vergnügen, als habe er
sein Leben lang Scharade gespielt und wolle das morgen schon gerne wieder tun.
    Es
gab da eine gewisse junge Frau, eine etwas teigige, sehr helle Blonde mit
flimmernden Haaren und einer Art von Haut, auf der schon ein leichtes Fassen
nach dem Arm rote Flecken hinterlässt; die Frau des Gastgebers.
    Wie
uns später, sehr viel später, als alle Beteiligten längst tot waren, zugeraunt
wurde, soll unser Vater mit dieser Frau eine Affäre unterhalten haben, ja, es
soll sogar - jetzt begeben wir uns aber endgültig auf das Gebiet einer verwilderten
Balkan-Spekulation, denn dieses Raunen hat uns über Umwege erreicht, nämlich über
unsere bulgarische Tante, die Schwester unseres Vaters, die damals hinter dem
Eisernen Vorhang lebte und all diese Leute überhaupt nie zu Gesicht bekommen
hat; die Tante also will von dem Skandal (einem Skandälchen eher, da solches
millionenfach vorkommt) über eine in der Schweiz lebende ehemalige Mitschülerin
erfahren haben, die damals mit dem ehrbaren älteren Bruder- von Zankoff
befreundet gewesen sein soll, und dieser ehrbare Bruder wiederum will von
seinem nichtsnutzigen jüngeren Bruder, dem Zuhälter, gehört haben, dass - je
nun: ein Kind, ein Sohn, lebe. Und wie es sich für eine echte chronique
scandaleuse gehört, soll unser Vater mit der flimmerhaarigen Gastgeberin ihn
gezeugt und sie wiederum es listigerweise hingekriegt haben, diesen Sohn ihrem
Mann unterzuschieben, ohne dass der (Zankoff zufolge: Trottel) je Verdacht
geschöpft habe.
    Soll,
will, hätte, wäre, wenn. Wir hätten also einen verheimlichten Bruder. Haben
wir das?
    Natürlich
regte es uns auf, als wir davon erfuhren. Da ich als einzige in der Familie
einen geschärften Sinn für die wahren Peinlichkeiten des Lebens besitze, fragte
ich nach einigen Sekunden eifrigen Nachdenkens: Und? Hat Zankoff was dazu
gesagt, ob unser Vater auch den Geburtshelfer spielte?
    Verlegenes
Zurückzucken der am Tisch Versammelten und keine Antwort.
    Die
Aufregung legte sich schnell. Wir besannen uns auf die bulgarische Neigung,
Gerüchten Glauben zu schenken - todsicheren Wettsystemen, Diätwundern,
Verschwörungen, Ufos, astrologischem Abrakadabra - und solches Zeug mit
steifem Zeigefinger und hochgeschürzten Augenbrauen zu verbreiten. Wir
begnügten uns damit, einmal das Stuttgarter Telefonbuch aufzuschlagen,
stellten fest, wie viele von Wefelkrodts es gab, dann schlugen wir das
Verzeichnis wieder zu.
    So
oder so, selbst wenn dieser Bruder mehr als ein Phantom sein sollte, hatten
wir kein Recht, nach ihm zu forschen und durch ein Mutmaßungstheater eine
fremde Familie aufzuscheuchen.
    Was
die Geschichte allerdings in die Nähe der Glaubwürdigkeit rückt, ist das
steife Verhalten unserer Mutter an jenem Scharadenabend. Dass ihre
Vorstellungen vom Adel in Konfrontation mit der Wirklichkeit gerieten, reicht
als Grund kaum hin für ihr schweigsam unbewegliches Sitzen, ihre strikte
Weigerung, an irgend etwas teilzunehmen. Für gewöhnlich wurde unsere Mutter in
unbehaglicher Lage aggressiv, suchte durch launige, flotte Bemerkungen über
ihre Unsicherheit hinwegzukommen, trank zuviel und zündete eine Zigarette an
der anderen an. Hat sie an diesem Abend überhaupt geraucht? Nicht einmal das,
scheint mir,

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