Lewitscharoff, Sibylle
des Waldfriedhofs, was insofern praktisch war,
als hier bis vor kurzem die meisten Verstorbenen geschlafen hatten in ihren
stillen, von Eichen und Linden und Moosen und Farnen und Buchsen gesäumten
Betten.
Es
ist Zeit, Schlafkontakt mit ihnen aufzunehmen, unter aufgelösten Eichen und
Linden und Moosen und Farnen mitzuschlafen im großen Wir, sieh nur, wie
augenlos dieses Wir schläft, auch das Weltall schläft in seiner schwarzen
Rückzugshöhle, wir alle schlafen darin aufbewahrt mit traurigem Lächeln, wie
alte knöcherne Jungfern aufgespart für den göttlichen Liebhaber, der vielleicht
sogar kommt, aber nach einem kurzen Blick beschließt, uns lieber nicht zu
wecken, weil wir so reizlos sind.
Das
Mauerblümchen
Dass ich schon wieder auftauche, weil ausgerechnet Wildschweine
durch mein inneres Dickicht zogen, vor denen ich langsam zurückweichend floh,
den Blick gebohrt in die schwarzen, kleinen, bösen, vollkommen runden Schweinsaugen
-
Länger
als zehn Minuten wird das wohl nicht gedauert haben. Der Fensterausschnitt
zwischen den Vorhängen ist noch dunkel, ein schmaler Mondschnitz taugt kaum zur
Beleuchtung. Gib endlich Schlaf, launischer Morpheus, hörst du, Schlaahaaf, das
kann doch nicht so schwer sein, Nacht ist überall umhergebreitet, da schlafen
die Dummen wie die Klugen, die Witzigen wie die Blöden, tipp mir auf die
Fingernägel, Morpheus, und zähl mir etwas Tröstliches vor, nur bitte lass keine
Schweinereihe mehr durch meinen Traum ziehen, nicht diese Viecher bitte, vor
denen ich eine tolle, wahrhaft unsinnige Angst empfinde.
Wozu
habe ich Ohren, fein wie ein Wildtier. Es jagt mich doch keiner. Gebellt wird
draußen nur noch vereinzelt, von einem Verschlag zum anderen kommt die Antwort
mit Verzögerung, da werden Hundedenkpausen eingelegt, und danach ertönt
schwächliches Genörgel, so ein ödes Pflichtgebell alter Rüden. Die ermüdeten
Hunderachen haben genug für die Nacht, sie sind's leid, pünktlich im Chor zu
zeigen, wer wo sein Revier hat.
Wildschweine
lebendig, die kenne ich aus Filmen, da ängstigen sie mich nicht, tot aus
eigener Anschauung. Eine Kostümbildnerin hat mir die Geschichte vom geschminkten
Wildschwein erzählt. Harmlos. Das bisschen Tierquälerei, nicht der Rede wert.
Eine Riechgeschichte. Wenn es nach dem Drehbuch der Bartholomäusnacht gegangen wäre, hätte das Tier einen turbulenten Auftritt zu
absolvieren gehabt. Zuerst ging alles gut, ein schwarzfleckiges Schwein
erfüllte die Erwartungen. Wochen später, beim Anschlussdreh, war das Schwein
aber krank, und sie mussten ein anderes nehmen. Weil keines aufzutreiben war,
das ähnliche Flecken aufwies, wurden dem neuen Schwein die Flecken
aufgeschminkt. Mit dem Effekt, dass die Hunde, die kläffend um das Schwein
toben sollten, irritiert um es herumscharwenzelten. Das Wildschwein roch nicht
mehr nach Wildschwein, sondern wie ein geschminkter Mensch, und das reizte die
Hunde nicht. Womöglich roch das arme Viech wie ein Trupp parfümierter
bulgarischer Frauen, und ich wundere mich, dass die Hunde nicht kilometerweit
Reißaus nahmen.
Tote
Wildschweine und eine Meute aufgeregter Setter und Vorstehhunde sah ich als
Kind bei einer Jagd. Den Ausflug hatten wir einer reichen Patientin unseres
Vaters zu verdanken. Eingeladen waren wir, bei den von Wefelkrodts das
Wochenende zu verbringen - die komplette Degerlocher Kleinsippe, Vater,
Mutter, die acht- und sechsjährigen Töchter, der Dackel.
Der
hohe eifernde Chor der Hundemeute, da ist er wieder, mühelos aufzurufen im
Kopf, dieser jauchzende Lustchor, der von überallher aus dem Wald schallte.
Unser Dackel war völlig außer sich. Er durfte aber nicht mitrennen, sondern musste
vom Vater an der Leine geführt werden.
Befremdlicherweise
spazierte auch der Vater im Jägerkleid übers Feld, ein seltsamer Hut mit
Pinsel saß auf seinem Kopf. Sogar ein Gewehr war ihm übergeben worden, von dem
er nicht wusste, wie es halten. Konnte er überhaupt schießen? Wahrscheinlich
nicht. Er war ja nie Soldat gewesen, und in Bulgarien hatte er das Jagen bestimmt
nicht gelernt. Wie ein geborener Waidmann sah er jedenfalls nicht damit aus,
unser Vater, als er, das geöffnete Gewehr in der linken Armbeuge, rechts von
dem an der Leine zerrenden Dackel vorwärts gezogen, im Wald verschwand.
Irgendwann
kamen die Männer, Jäger und Forstgehilfen, in Lederzeugen und Lodentuchen
dampfend, in Stiefeln schwitzend, Schweißbäche rannen ihnen von den Stirnen und
in die Nacken, aus dem
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