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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Berühmtheit erlangt hatten, ahnungslos. Was er ausgebrütet hatte,
war ein Gemuddel und Gemodder, so ein modernes Weißnichtwie aus beiden
Leichenzügen. Trotzdem durfte sich unser Mann in aller Unschuld wie ein Pionier
vorkommen. Den melancholischen Spanier, der einst über ein Riesenreich geboten
hatte, kannte er nur im Ungefähren. Göring kannte er besser. Der dicke
Reichsmarschall in Lederwams und Stiefeln - jawohl, der steckte ihm recht
lebhaft im Gedächtnis, in den verschiedensten Kostümen, mitsamt Gamsbarthütchen
auf dem Kopf. Von der Schwedin wusste Tabakoff aber rein nichts. So brauchte es
ihn nicht zu kümmern, dass beide Männer Ähnliches zuwege gebracht hatten, wenn
auch in weit pompöserem Maßstab.
    Schwarz.
Dieser todschicke Universumston.
    Natürlich
war Schwarz auch Tabakoffs erste Wahl. In Amerika hatte er den Komfort der
überlangen Limousinen liebgewonnen (morgen muss mir Rumen mal erklären, wie
die mit vier Rädern auskommen, ohne in der Mitte durchzuhängen). Elf wurmlange
schwarze Limousinen mit anthrazitfarbenen Vorhängchen in einem verwickelten
Escher-Muster, über das ich acht Tage Zeit hatte nachzugrübeln. Limousinen, an
deren vorderen Flanken jeweils ein deutsches und ein bulgarisches Fähnchen
flatterte, rollten aus Stuttgart weg, mit ungefähr vierzig Personen darin,
die Fahrer nicht eingerechnet. An der Spitze des Zuges fuhren zwei noch längere
und vor allem bulligere Wagen, Spezialausführungen mit Schmuckdeckeln zur
Krönung anstelle der üblichen glatten Autodächer.
    Was
rissen wir die Augen auf, als wir die Dinger zum ersten Mal zu sehen bekamen!
Und da war nun doch ein historisches Vorbild zu Ehren gekommen. Wie wir später
erfuhren, liebte Tabakoff den argentinischen Sänger Carlos Gardel, er liebte ihn
abgöttisch und hatte sich mal in eine Illustrierte vertieft, in der Photos von
dessen Begräbnis in Buenos Aires zu sehen gewesen waren. Die Avenida de Mayo
schwarz vor Menschen. Und mittendrin, gezogen von einem Achtergespann aus
federbebuschten Rappen, eine Kutsche, die wie eine riesige, längliche
Zuckerdose aussah - mit einem Mordsdeckel obenauf. Schwarz, natürlich schwarz.
Das war aber noch nicht alles. Das Fahrzeug war überrankt von Ornamenten, seine
gläsernen Seiten wie von schwarzem Zucker übersponnen, und darin lag das arg beschädigte
argentinische Dornröschen und wurde an den Trauernden vorbeigefahren, nach La
Chacarita, seiner vorläufigen Ruhestätte, wo es für tausend Jahre schlafen
sollte.
    Bei
Gardel machte Tabakoff eine Ausnahme. Er stellte sich die Auferstehung des
geliebten Sängers nicht so sehr fliegend vor, vielmehr als ein singendes
Wunder. Mit ausgebreiteten Armen, Mi Buenos Aires querido auf
den Lippen, würde Gardel aus dem geöffneten Sarg steigen. Jesus, was hat uns
Tabakoff mit diesem Lied gequält! Er sang und summte es bei jeder Gelegenheit,
und nicht einmal so falsch, wie wir jedes Mal fürchteten, wenn er wieder damit
anfing.
    Vielleicht
aber hatte etwas ganz anderes die pompöse Beerdigungsidee in ihm wachgerufen,
ein Erlebnis aus früher Zeit, das vom Tod seines geliebten Gardel romantisch
überwölbt wurde. Als Fünfundzwanzigjähriger hatte Tabakoff miterlebt, wie der
allseits beliebte König der Bulgaren in Sofia zu Grabe getragen wurde. Am 28.
August 1943 war Boris III. an
einem Herzleiden verstorben, noch jung, erst neunundvierzig Jahre alt. Zwei
Wochen zuvor war er von einem dramatischen Staatsbesuch in Berlin
zurückgekehrt. Die Bulgaren vermuteten sofort, Hitler habe ihn vergiften
lassen. Noch heute glauben sie hartnäckig daran, obwohl niemals Beweise dafür
aufgetaucht sind und es kaum in Hitlers Interesse gelegen haben dürfte, einen
zwar zaudernden, im großen und ganzen aber willfährigen Alliierten
umzubringen.
    Wie
so häufig bauen die Bulgaren auf einem Detail eine riesige Theorie auf, in
diesem Fall eine verzwickte Mordtheorie: in Zivilkleidung war der König nach
Berlin gefahren, nicht in Uniform. Damit wollte er seine politische Taktik am
eigenen Leib demonstrieren, die eigenen Soldaten möglichst aus dem Krieg
herauszuhalten. Hitler habe ihn finster empfangen und finster entlassen. Das
mag wohl sein, reicht für einen Mord aber nicht aus. Und die Bulgaren
vergessen allzugern, welch große Wertschätzung Boris bei Hitler genoss.
    Beliebt
war König Boris III. auch
beim bulgarischen Volk. Durch die Allianz mit den Deutschen hatte sich Bulgarien
große Gebiete einverleibt, ohne dafür kämpfen zu müssen. Deshalb

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