Lewitscharoff, Sibylle
Maus umzubringen.
Mit einer Maus? höre ich sie ungläubig fragen, wie sollte das gehen?
Den
Bulgaren ist die Pflege geheimer Gehirngeburten eine Lust wie eine Pflicht. Es
dauerte daher nur wenige Stunden oder Tage, bis Theorie Nummer eins ihren angestammten
Platz wieder okkupiert hatte und die Sonnenblumenkerne in gewohnter Heftigkeit
traktiert wurden. Kräftiger war die Theorie in der Zwischenzeit geworden,
radikaler, fintenreicher, komplotthafter denn je. Zur Ehre unseres tapferen
Rumen sei jedoch erwähnt, dass er diesen Schwachsinn nie geglaubt hat, obwohl
er als Nachbarskind, das neben unseren Großeltern wohnte, reichlich damit gefüttert
worden war.
Es
war ja spannend, dem Geheimdienst dabei zuzusehen, wie er sich in das kleine
Haus in der Wurmlingerstraße 14 schlich, in Gestalt zweier unscheinbarer Männer
(unscheinbar in einem Grade, dass einem märchenhafte Tarnmäntel in den Sinn
kamen), die das Gartentor aufklinkten und es brav wieder hinter sich zumachten,
die den Dackel mit Hilfe von Chloroform außer Gefecht setzten (in Unkenntnis
seines Charakters hatten die Verwandten einen rabiat kläffenden,
zähnefletschenden Verteidiger von Haus und Hof vor Augen; wir verrieten ihnen
nicht, dass er Fremde freundlich begrüßte und mit einer Wurst zum Geschenk jeden
Finsterling schwanzwedelnd ins Haus geleitet hätte), um dann die Stufen vor der
Eingangstür hinaufzusteigen - unbemerkt von uns Kindern, die wir gerade neben
dem kleinen Vorbau mit einem blauen, geriffelten Reifen Hula-Hoop übten (ich)
und mit einem alten, schlappnetzigen Tennisschläger einen Ball an die Wand schlugen
(meine Schwester). Zwei Männer also, die mit wenigen gekonnten
geheimdienstlichen Griffen die Haustür öffneten und sie geräuschlos wieder
schlössen, um dann im Rücken der Großmutter, die gerade bei offener Küchentür
Spätzle vom Brett in einen Topf schabte, durch die Diele zu huschen, am
Schuhschrank und der Garderobe vorbei, huschhusch rechtsum die Treppe hinauf -
Halthalthalt, am Schuhschrank wäre kein Geheimdienstler so mir nichts, dir
nichts vorübergehuscht, schon gar nicht ein bulgarischer. Zur Not hätten sie
unsere geliebte Spätzle-Großmutter gleich mit umgelegt, nur um sich diesem
Schrank widmen zu können.
Unmöglich!
Allein der Gedanke lässt mich ins Kissen boxen und auf die andere Seite
wechseln. Kommen die Herren vom Gemeinderat? hätte sie in ihrer zutraulichen
Art gefragt, ihnen dann zwei Teller mit Spätzle und Braten vorgesetzt, nach
deren Genuss auch der wildeste Mann von der Welt die Frau nicht mehr hätte
umbringen können, so gut, wie sie kochte, so sanft, wie sie war.
Der
Schuhschrank! Ja, da mögen sich die Stirnen der Verwandten ruhig in Falten
legen, an den Schrank hatten sie überhaupt nicht gedacht. Ganz einfach, weil
niemand von ihnen den je zu Gesicht bekommen hat - außer der bulgarischen
Großmutter, die als einzige in den sechziger Jahren eine Reiseerlaubnis
erhalten und uns einmal in der Wurmlingerstraße besucht hatte. Und diesem einmeterneunundvierzig
hohen, nach Nivea duftenden Hutzelprinzesschen, das entweder mit sich selbst
beschäftigt war oder mit aufgerissenen Uhu-Augen ihren geliebten Sohn
verfolgte, ging jedes Beschreibungstalent ab.
Er
sah überhaupt nicht aus wie ein Schuhschrank. Er sah aus wie ein Geheimschrank
für Diplomaten aus der k. u. k. Zeit. Von einem schwäbischen Tüftler war er als
Patentschrank ersonnen worden. Man konnte außen an einer Kurbel drehen, dann
öffneten sich acht querformatige Türen, und wenn man jetzt an einem kleineren
Rad mit Arretierung drehte und den Hebel in die Kerbe beispielsweise der
Ziffer 3 senkte, so hatte man einen Mechanismus in Bewegung gesetzt, der einem
das Schuhpaar Numero 3, von der schwäbischen Großmutter blitzblank geputzt und
mit hölzernen Spannern versehen, wie auf einer ausgestreckten Zunge durch die
geöffnete Klappe entgegenstreckte. Dieser Schrank war der Stolz unseres
Vaters, er hatte ihn bei der Mittelstandsnothilfe gekauft, bei der die Leute
nach dem Krieg alte Möbel loswurden, die neben den nagelneuen Niedertischen,
den Stühlen mit ausgestellten stählernen Spinnenbeinen plötzlich wie Elefanten
aussahen. Er war ein Prachtstück, aber für die Diele zu groß.
Von
mir aus, lasse ich die Verwandten wissen, die jetzt in ihren Sofioter Kojen
liegen und wahrscheinlich schnarchen, ihre nachtwarmen Köpfe in die
verschwitzten Kissen gedrückt, während die nebenan schlafende Schwester, da
sie meinen Hang zur
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